Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
zielsicherem Gutdünken, unerschütterlich wie er ins immer wieder aufkreischende Telefon sagt: Ihr Mann ist nicht da; er hat aber vorher dem gejagten Ehegatten den Hörer hingehalten und dessen verzweifeltes Kopfschütteln abgewartet. Wenn Wes zweimal sein Revier zwischen den Kunden und siebzig Flaschen abgegangen ist, hat er ein dichtes Netz von Handgriffen, Blicken und Gesprächen geknüpft; heute sah er gelegentlich offen prüfend auf die Dame an der Seite D. E.s, bis er sich entschloß zu der Annahme, jener Professor habe ihm nichts auf die Nase gebunden.
Wes ist ein kräftiger großer Mann um die Fünfzig, zeigt kaum Ausdruck um den festen Mund, die grauen Augen. Alle seine Blicke sind stumme Prüfungen, und das Geheimnis seines ungeheuren Umsatzes mag sein, daß ein Mann vielleicht auf die Achtung von seiten der Ehefrau verzichten will, nicht aber auf die von Wes. Wes zeigt nicht viel von seinem Gesicht, hält den Blick auf seiner Arbeit mit Gläsern, Flaschen, Sieben, Waschbecken, und wenn er zwei Substanzen durch Schütteln zusammenbringen muß, stellt er sich seitlich auf, so daß er im Profil zu sehen ist, ein ernsthafter Herr beim Vollziehen eines strengen Rituals. Er hat die Haare in Kräuseln auf dem Schädel, wie Cresspahl, nur rotblond statt grau, und daran, an die abwesende Kopfhaltung, an das besessene Zuhören habe ich wieder eine Schärfe vom Erinnerungsbild meines Vaters verloren.
Wes füllte D. E.s Glas auf und teilte ihm förmlich mit, damit das Unerläßliche doch getan war: Deine Frau gefällt mir, Ericksen. Sah aus den Augenwinkeln auf die Dame, ob sie etwa beleidigt war, nahm ernst und befriedigt D. E.s Antwort entgegen: Mir auch, Wes.
Nun bekam D. E. sein ureigenes und persönliches Gespräch mit Wes für diesen Abend. Wes bereitete dabei Getränke für andere, nahm einem Kunden Geld weg, legte Münzen vor ihn hin, wischte die Theke sauber, stellte Gläser in kunstvollem Bau neben der Registrierkasse auf, aber es war D. E.s Gelegenheit, und die anderen Kunden gaben sich den Anschein, sie hörten nicht zu.
– I like your wife, Ericksen.
– So do I, Wes.
– Die Sache mit Aer Lingus läuft wieder.
– Im August könnte ich einen Flugschein brauchen. Für einen Riesen, wie üblich?
– Für einen Riesen, ohne Gebühren. Nicht daß du denkst, ich mag deine Frau nicht.
– Du mußt ja wissen, was du tust, denkst und empfindest.
– Es ist ein freies Land.
– Nach Entrichtung der Gebühren. See you later. Alligator.
– In a while. Crocodile.
D. E. sprach nicht viel. Er begrüßte Freunde mit gemessenem Erheben des Glases, sah um sich, nahm einem angetrunkenen Nachbarn geduldig die Ohrenbeichte ab, vergewisserte sich mit gelegentlichen Blicken, daß ich sein Vergnügen erkannte, und lud mich ein, vergnügt zu sein.
In dieser Lebensstätte werden die Damen und Herren nicht nach der Hautfarbe gemessen. Wenn Einer seine Nachbarn nicht belästigt, mit dem Alkohol auf Erholung aus ist und nicht auf Rausch, Geld zum Bezahlen hat und vielleicht noch einige Kenntnisse in Pferderennen sein eigen nennt; es genügt. Dann ist er ein gewöhnlicher und willkommener Mensch. Hier war ein Mann ein Mann; ein weißer Radaubruder wird auf die Straße gewiesen; ein ruhiger schwarzer Anhänger des Feuerwassers wird respektvoll mit dem bürgerlichen Titel angeredet: Sir.
Ein Nachbar nahm mich für eine, die hier war, um Geld zu verdienen. - Sind Sie eine Stewardess, oder so was? sagte er. - Ich meine wegen, dieses, des Flügelrades auf Ihrer Zigarettenpackung. Deswegen, dachte ich: sagte er, erwischte nun das angewiderte Kopfwiegen von Wes, fühlte sich bitter getadelt und verwarnt, nahm sein Geld und brachte sich lahm von dannen.
Die Männer gehen hier nachsichtig mit einander um, fürsorglich, zärtlich geradezu. Es hat Einer Ärger mit seiner Brille. Kann nicht gut sehen. Wes begibt sich zu ihm und überreicht eine Serviette. Macht ihm eine Putzbewegung vor. Er wird sich ja nicht in die privaten Angelegenheiten des anderen mischen. Der putzt dankbar. Gibt die Serviette aufatmend zurück. Dich wenn ich nicht hätte Wes.
Es hat einer sein kanadisches Zeug neu bekommen. Es steht noch Soda neben seinem Glas. Er könnte das selber nachschütten. - Mix it? sagt Wes. - Soll ich dir das machen? Dem Beladenen soll wenigstens diese Mühe erspart werden.
Ein fettes Püppchen mit zierlichem Doppelkinn antwortet auf die Frage nach dem Ergehen: Mir ist, als wär ich doof. Wes antwortet,
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