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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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um das Ziel der Eigentumszerstörung, der Plünderei und des Schießens aus dem Hinterhalt zu erreichen.
    Pöbelhaufen sind imstande, ein Gebiet mit Benzin und Öl zu überfluten und es anzuzünden, wenn Truppen in das Gebiet vorrücken.
    Sie können Benzin und Öl einen Abhang hinunter den Truppen entgegenschütten oder es von Gebäuden hinunterwerfen und anzünden.
    Sie können Dynamitladungen in einem Gebäude anbringen, so eingestellt, daß sie explodieren, wenn Truppen oder Fahrzeuge sich gegenüber dem Gebäude befinden, oder daß sie vor Ankunft der Truppen explodieren und die Trümmer die Straßen versperren.
    Sie sind imstande, Hunde oder andere Tiere, denen sie Sprengstoffe auf die Körper gebunden haben, den Truppen entgegenzutreiben. Die Ladungen können durch Fernzündung zur Explosion gebracht werden, durch Zünder oder Uhrwerke.‹
    Der Ausbilder stellt fest, daß Truppen dazu erzogen werden müssen, Spottrufe zu überhören. Nach seinen Worten müssen Truppen ›emotional vorbereitet sein auf eigenartige Aktionen des Pöbels, zum Beispiel daß Einzelne aus dem Haufen schreiend auf sie zulaufen, sich selbst die Kleider vom Leibe reißen oder mit voller Absicht sich selbst verletzen oder verstümmeln‹.
    Jedoch die Notwendigkeit einer harten Schießdisziplin wird betont. Es darf nur jenes Truppenkontingent eingesetzt werden, das zur Bewältigung der Situation nötig ist, ›im Einklang mit unserer demokratischen Lebensweise und militärischen Lehre‹.
    Das durchgesehene und ergänzte Handbuch der Armee, das zum 1. April erwartet wird, wird neue Kapitel über die Bekämpfung von Brandstiftung und Plünderei enthalten.«
    © by the New York Times Company

23. März, 1968 Sonnabend
    Jeder Soldat, den der Präsident Johnson zusätzlich nach Viet Nam schickt, kostet den Haushalt der Nation zwischen 20 000 und 40 000 Dollar. (Die Familie eines getöteten Soldaten bekommt $ 300 als Zuschuß für die Beerdigungskosten; das reicht zu einer Armenbeerdigung.)
    Nun steht es auch in der Pravda, daß die Studenten Polens seit zwei Wochen ungehorsam sind. Nun ist es auch in der Sowjetunion wahr. Es ist so wahr, daß die Unruhen von »antisowjetischen Agitatoren« gesteuert würden.
    Antonín Novotný, da seine Partei ihn nicht anfassen will, ist zurückgetreten. (Auch sein Sohn ist zurückgetreten, wenn auch nur von einer Pfründe.) Das Parteipräsidium der Kommunisten nimmt die Zahl der Justizopfer aus den Jahren 1952 bis 1964 mit 30 000 an.
    Heute war Mrs. Cresspahl da, wo die Männer Amerikas leben.
    Es war eine von den Bars, die D. E. »sein« nennt, diesmal eine in der Dritten Avenue, irisch schon im Namen, und eben war im Fenster das Schild aufgehängt worden, das Damen ausdrücklich einlädt zum Besuch des Etablissements. Es hing an einer zierlichen Kette, es war in Schwarz und Gold gehalten, altertümlich und vornehm geschrieben, und es bedeutet, daß das Geschäft mit den männlichen Kunden gegen neunzehn Uhr abschlafft und durch die Zulassung von Prostituierten aufgebessert werden muß, auch Frauen ohne jede Begleitung sind willkommen. Deswegen sagte D. E., sobald wir saßen: Du kennst meine Frau, Wes.
    Vergißt du mir den Brief nach Stockholm, D. E.?
    Bloß nicht darüber reden, Gesine.
    Wenn es Gegenwehr war, so doch blinde.
    Vergessen, Gesine. Laß uns das spielen: wir wären bei Wes verheiratet.
    – Ziemliche Freude nun auch Ihre Frau kennen zu lernen Professor einen Glückwunsch: sagte Wes recht flüssig, achtlos, hatte auch nicht die Zeit hinzusehen. Er ist der Chef von zwei Mixern hinter einer Bar von fünfzehn Metern, der Hausherr mit dem Hausrecht; er tut aber seine Arbeit voll und allein, die Bedienung von zehn und mehr Kunden, die vor ihm sitzen und jeder auf sein ureigenes und persönliches Gespräch mit Wes warten. Zu seinen diplomatischen Künsten gehört aber auch, Schweigern unaufgefordert das Richtige ein- und nachzuschenken, einen Abschiedsgruß nicht zu überhören, Ankömmlinge ernst zu begrüßen und schließlich die Reservierung frei gewordener Plätze für Freunde, die vorerst in einem anderen Revier an Fremde leiden, bis Wes sie mit bedeutend erhobenem Zeigefinger zu sich holt und einweist. Er ist überdies eine Privatbank, löst die Schecks seiner Kunden ein, gewährt persönliche Darlehen, hält Wettgewinne in Verwahrung, alles ohne Zinsen. Wes ist ein Meldeamt, weiß vom Verbleib eines Vermißten in Galway oder Lissabon und gibt oder verweigert die Auskunft nach

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