Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Stall besorgen; sie konnte die Schuhe ausziehen und die Füße hochlegen. Dennoch war diese Zeit die schlafsüchtigste in ihrem Leben. Das Arbeiten war so ungewohnt.
Die Wochenschau hatte einen neuen Service anzubieten. Wenn Einer seinen gefallenen Sohn in den Frontberichten erkannt hatte, konnte er sich das Bild bestellen, das vielleicht das letzte war. Es genügte, wenn die Szene der Aufnahme genau beschrieben wurde, oder auch nur die davor und die danach angegeben. Der Service galt nur für Tote. Horst Papenbrock, in der Nähe von Stalingrad gefallen, war in der Wochenschau nicht zu sehen gewesen.
Sein Bruder Robert war als »Sonderführer« in der Sowjetunion eingesetzt. Er hatte den Papenbrocks von dort ein Mädchen geschickt, zweiundzwanzig Jahre alt, blond, groß. Die Eltern sollten sie für ihn in Jerichow aufbewahren. Louise behandelte sie als Dienstmädchen. (»Am 12. August, dem Geburtstag der Mutter unseres Führers, wird das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter verliehen.« So war Edith zum Heiraten gezwungen worden. Edith war aus dem Haus.) Das russische Mädchen hieß Slata. Sie konnte genug Deutsch, um einzukaufen in Jerichow. Sie betrug sich nicht wie eine Kriegsgefangene, und es war nicht heraus, was die Papenbrocks nun wieder sich ausgedacht hatten. Also wurde mit ihr höflich gesprochen, auch freundlich. Es blieb ärgerlich, daß sie sich das gefallen ließ wie ein Recht.
Cresspahl wurde auf die künftige Verwandtschaft angesprochen. Die Russin erinnerte ihn an Hilde Paepcke, auch weil sie wie sie das Haar im Kopftuch trug, wiewohl in einem weißen, und er versuchte, sie zu loben. Mehr aber sprach er davon, daß ein »Sonderführer« ja dies und jenes bedeuten möge, aber wenn Einer nach der holländischen Bedeutung gehe, »zonder«, so heiße es doch bloß: ohne, oder: Is nich.
Am Montag, dem 2. November 1942, mußten die Uhrzeiger um eine Stunde zurückgedreht werden.
Herrn Dr. Kliefoth wurde auf dem Weg zum jerichower Zug der Weg verlegt. Kreisleiter Swantenius fand es nicht gerecht, daß Einer nicht in der Partei war, und daß am Ende er allein verantwortlich sein werde. Die spärlichen und ungenauen Nachrichten aus Stalingrad bedrückten ihn, und er erwähnte mit Vorwurf die Ostfront.
Was, Sie waren an der Ostfront.
Es war man bloß, daß ich nicht mehr 32 Zähne auf den Tisch des Hauses legen konnte. Sonst wär ich jetzt mit in Italien.
Ja dann. Wenn einer wie Sie nicht in die Partei will.
Keine Zeit.
Wir haben ja man bloß den Schurrmurr in der Partei.
Kliefoth schrieb damals auf Fragebogen in die Rubrik für Kriegsauszeichnungen: Eisernes Kreuz 1. und 2. Klasse im Ersten Weltkrieg, Eisernes Kreuz 1. und 2. Klasse im Zweiten, »und weitere«, weil nicht genug Raum war. »Was so in zwei Kriegen eben zusammenkommt«.
Leslie Danzmann sollte im Arbeitsamt Gneez die ausländischen Zwangsarbeiterinnen beraten, und sie hatte Angst vor dem »swatten Düvel«. Jener »schwarze Teufel« war eine Jugoslawin und verdankte diesen Namen ihren schwarzen wilden Augen und der drohenden Dringlichkeit, mit der sie den Mecklenburgern auf den Leib rückte. Männer hatten vor ihr mehr Angst als Frauen. Die Jugoslawin, Dunja, sah nicht ein, warum sie in der Fremde leben und obendrein arbeiten sollte. Sie blieb an einer Stelle vier, auch sechs Wochen, aber sie ließ sich nicht schief anreden, nicht im Essen beschneiden, und wenn eine Bitte ausgesprochen wurde als Befehl, warf sie hin, was sie in der Hand hatte. Dann mußte Leslie ihr eine neue Stelle vermitteln und ängstigte sich in ihrer Gutmütigkeit vor der anderen, die ihr unbekümmert mit Prügeln von ihren Freunden drohte. Ihre Verachtung für die Deutschen war so gründlich, sie machte sich nicht die Mühe, deren Sprache zu lernen.
Leslie Danzmann konnte den Leiter des Arbeitsamtes gelegentlich dazu bringen, Reisegenehmigungen blanko auszustellen. Sie wunderte sich, wieso Cresspahl an so vielen Wochenenden mit dem Zug unterwegs sein wollte; jedoch Leslie Danzmann war gern gefällig.
In den Todesanzeigen von den Fronten hieß es nicht immer, daß ein Junge »in treuer Pflichterfüllung für Führer und Reich sein Leben gab«, gelegentlich, daß er es lassen mußte, oder zumindest er habe »in höchster soldatischer Pflichterfüllung den Heldentod gefunden«, wie etwas, was man sucht.
Lisbeth Cresspahl war nun das vierte Jahr unter der Erde.
Die Luftwaffe hatte Cresspahl auf dem Flugplatz eine neue Werkstatt aufbauen lassen, kümmerlich im
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