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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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sondern Kundschafter. Nun muß die D. D. R. auch ihre Kundschafter haben. Und Cresspahl soll einer gewesen sein. Nicht für die Sowjets, das ginge doch übers Bohnenlied; aber für die Engländer, gegen die Nazis eben. Gesine, ist das die Möglichkeit? Kind, ich kann das nicht mal in Gedanken aushalten! Gesine, schreib gleich es ist nicht wahr!
    Nur daß ich es weiß. (Schreib nicht an mich, sondern an Kliefoth. Ich werd ihn dann fragen ob in einem Brief ein Nein mit Punkt gewesen ist, das er nicht verstand.) Sonst kannst du nicht viel tun.
    Es hat in der Zeitung gestanden. In unserer Volkszeitung, was früher das Gneezer Tageblatt war, sie machen das jetzt aber in Schwerin, und in Gneez ist bloß noch die Auslieferung.
    In der Zeitung war das über einen Ludwig Krahnstöwer, zu seinem Siebzigsten. Ein Held des antifaschistischen Widerstandes, oder so. Er will Funker gewesen sein, von 1943 bis 1945 in Hamburg, mit dem Stationsnamen Jürss, oder J. Ü. R. S. S., aber für die Sowjets und die Briten gleichzeitig, und ein großer Teil der mecklenburgischen Berichte sei von einem Mann gekommen, und er sagt: von Cresspahl. Er gibt zu, daß er ihn im Leben nicht gesehen hat. Er sagt: Cresspahl.
    Dann will ich lieber glauben, daß Jerichow eine Straßenbahn nach Wismar bekommt! es ist so das neueste Gerede.
    Dann hätte Cresspahl doch nach dem Krieg herrlich leben können und in Freuden! Weil doch die Sowjets von seinen Nachrichten mitlebten! Gesine, so etwas zu verschweigen, ich trau es keinem Mann unter der Sonne zu, und es ist gewißlich nicht wahr.
    Stell dir vor, du enthüllst hier ein Straßenschild und eine Gedenktafel!
    Womöglich Ehrenbürgerin von Jerichow, wie kämst du dir vor!
    Das tust du nicht, und ich weiß es.
    Ich wollt nun noch sagen, ich bin eine alte Frau, mit meinem Stolz ist das nun auch so eine Sache, laß man. Ich hab sehr an dir gehangen, noch als du gar kein Kind mehr warst. Du warst doch das Kind von Lisbeth. Ich hätt dich wohl großziehen mögen; Cresspahl gab dich nicht ab. Du hast das nicht gesehen, da ging eine Olsch vorbei, die hat dir früher mal Knöpfe angenäht und die Haare aufgesteckt, da grüßt du sittsam und gehst weiter. Es waren ja auch Zeiten, da hat die Stadt über mich gelacht. Und du hattest die Frau Abs, das ist wohl deine Mutter geworden. Ich wollt nur, daß du einmal weißt, ich wär es auch gern gewesen. Nicht Cresspahls wegen, deinetwegen.
    Du weißt schon, wer dir das schreibt. Wiedersehen werd ich dich nicht. Es mag von meinem früheren Leben übrig sein, daß ich wenigstens nicht vergessen werden will. Nicht von dir. Hab ja keine Kinder gehabt.
    Eine Freundin die es gut mit Ihnen meint!«

2. April, 1968 Dienstag
    Justiz in Mecklenburg während des Nazikrieges:
    Fedor Wagner, polnischer Vorschnitter in Groß Labenz, erklärte Deutschland für schuldig am Krieg gegen sein Land. Am 3. September 1939 verhaftet. Vom Zuchthaus Dreibergen-Bützow wurde er nach Auschwitz verschleppt. Verschollen.
    Wilhelm Zirpel, aus Michelsdorf bei Belzig, Binnenschiffer, hatte den Sender Moskau abgehört und in Malchin kriegsfeindliche Äußerungen getan. Verhaftet am 11. Dezember 1939, 5 Jahre Zuchthaus in Dreibergen-Bützow, nach dem 26. Januar 1945 im K. Z. Sachsenhausen.
    Johann Lehmberg aus Rostock, Ingenieur, sprach sich gegen die Aufrüstung aus. Seit 1939 im Zuchthaus, wurde er am 22. Januar 1940 in das K. Z. Neuengamme verschleppt, später dort ermordet.
    Louis Steinbrecker aus Rostock, Gemüsehändler, dienstverpflichtet zu der Walther Bachmann-Flugzeugbau in Ribnitz, wurde am 27. Dezember 1939 wegen »heimtückischer Äußerungen« verhaftet, im Februar 1940 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, aus den Strafanstalten Dreibergen-Bützow verschleppt in das K. Z. Buchenwald, wo er am 31. Juli 1942 starb, »an Lungenentzündung«.
    Eduard Pichnitzek aus Neddemin, Arbeiter, unterhielt sich mit polnischen Kriegsgefangenen in ihrer Sprache und trank mit ihnen Bier. Er wurde am 22. April 1940 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Haft in Dreibergen-Bützow brachte ihm eine Lungentuberkulose bei, an der er am 25. Januar 1943 starb.
    Karl Saul, 43 Jahre alt, aus Schwerin, Klempner, hatte Nachrichten ausländischer Rundfunksender verbreitet. Am 4. Juni 1940 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, seine Frau zu zwei Jahren Zuchthaus.
    Martha Siewert, 27 Jahre, aus Teerofen bei Karow, wurde wegen Abhörens der B. B. C. und Ablehnung des Krieges am 17. Juni 1940 zu zwei Jahren

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