Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Holzgerüst.
Das ja: hätte Mr. Smith antworten können und das Gehörte wegstecken hinter seine faltenbewehrte gedrungene Stirn und nicht verraten, ob es da nun verloren war oder versteckt. Hätte seinen schwarzgrauen Scheitel mit acht Fingerspitzen zurechtgesetzt, die billigen Gläser dichter an die Augen gedrückt und wäre zu seinem Bett gegangen, ohne daß Cresspahl ihn hätte halten können. Denn Mr. Smith ließ seine Abschiede geschickt ausfallen als erwiesene Rücksichten.
Lange wäre Mr. Smith nicht geblieben in Jerichow. Denn wenn es im Mai 1938 war, so waren die Deutschen an der tschechoslowakischen Grenze aufmarschiert, und die Regierung der Č. S. R. hatte eine Teilmobilmachung ausgerufen, und Mr. Smith wurde bei seiner Kompanie gebraucht, wenn seine Regierung ihr Versprechen an die Tschechen und Slowaken hätte halten wollen.
Mr. Smith wäre noch einmal an einem Fenster der zweiten Klasse im Milchholerzug zu sehen gewesen, ein niedrig gewachsener, nahezu dürrer Herr, der den Hut abnimmt und ein enges Gesicht zeigt so starr, daß darin Kummer über den Abschied verborgen sein mag oder Erleichterung über das Ende des Besuchs.
Und woher hätte Mr. Smith das Geld haben sollen für einen schwarzen Anzug, einen Hut, neue Schuhe mit noch gar nicht zerkratzten Kappen. Wer hätte ihm das zahlen sollen.
(Mrs. Trowbridge wäre es nicht gewesen.)
Und was für Zweck und Ende hätte Mr. Smith denn finden können in Jerichow. Was war da zu denken?
Jedoch sogar er hätte etwas gesehen.
30. Januar, 1968 Dienstag
Hier haben wir Mr. Weiszand. Dmitri, der uns so oft seinen Vornamen anbietet, damit er sagen kann: Gesine. - Gesine: sagt er, und bleibt so schwergewichtig stehen inmitten des Rudels Fußgänger, das auf die Südseite der 96. Straße sich in Gang setzt, es ist an ihm nicht gut vorbeikommen. - Gesine: sagt er, und gewiß wollen wir seine Überraschung, sein herzliches Lächeln für Wiedersehensfreude nehmen; er trifft Mrs. Cresspahl aber nicht selten auf dem Broadway, und es ist doch oft genug mit drei Worten über das Wetter und Maries Schule abgegangen. - Gjesinneé: sagt er, wird sein polnischrussisches Erbe an Sprachen wohl nie mehr mit amerikanischem Mantel behängen lernen, wird Mrs. Cresspahl womöglich vor Schaufenstern und Passanten umarmen, ein Slawe den anderen, denn ihm ist Mecklenburg slawisch. Da zieht man ihn doch lieber in Charlies Gutes EßGeschäft zu einer Viertelstunde bei Kaffee und was ihm sonst nicht aus dem Kopf will. Hei, Charlie.
Nicht wahr, Charlie. Solch näßliches Wetter. Schwarzen Kaffee, den von heute morgen. Ruf mal Marie an, ich werde hier aufgehalten. Dies ist Mr. Weiszand. Professor Weiszand? Also nicht Professor. Dieser Herr mit der kurzärmeligen Fleischerjacke, den flinken Unterarmen, dem Theologengesicht unter der strengen Haarbürste also ist der Städtische Meister des Buchweizenpfannkuchens, Charles Charlie eben.
Das war nicht, woran Mr. Weiszand liegt. Ihm ist offenbar dringlicher, Mrs. Cresspahl im Vertrauen zu sagen, daß sie schlecht aussieht. Nicht schlecht geradezu, aber müde, abgearbeitet, blickfaul. Was ist denn das für ein Anfang, Mr. Weiszand!
Harte Arbeit, Mrs. Cresspahl?
Arbeit eben.
Was für eine Arbeit das eigentlich ist, möchte Mr. Weiszand wissen, hat seinen Kopf so beständig aufgehängt in stützender Hand, blickt so treu, so fürsorglich, als wollte er wirklich erzählt haben, daß die Angestellte C. von hier mit der Subway zehn Minuten fährt zum Times Square, von da noch einmal fünf braucht zum Grand Central und nach zwölf Minuten zu Fuß gegen neun Uhr die Hülle von der Schreibmaschine nimmt, und zwar an fünf Tagen der Woche, bis fünf Uhr nachmittags, bis zu dieser Minute, in der sie immer noch nicht nach Hause gelassen wird, Mr. Weiszand. Es ist eine Maschine mit Kugelkopf, falls es das war.
Das war es nicht.
Und warum lassen Sie sich einen Bart stehen von Ohr zu Ohr, Mr. Weiszand?
Wenn Mr. Weiszand zu glauben ist, so wächst ihm der Bart nicht aus einer Wette; aus Kummer sprießt ihm das rotstoppelige Gewusel. Um das nicht zu hören, werden wir ihm den Beruf der Fremdsprachenkorrespondentin zum Denken geben. Na?
Deutsch, Französisch, Italienisch -?
Und Amerikanisch, und Englisch, Mr. Weiszand.
Er begreift nicht, wozu eine Bank solchen Posten besetzt. Er trinkt ein wenig von Charlies schwarzem Kaffee, setzt die Tasse verwundert ab, füllt sie mit Zucker nach, probiert noch einmal, setzt kopfschüttelnd ab. Es ist
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