Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
eigenes Leben und eins mit anderen noch gefallen hatte; er dachte da auch an Mr. Smith, an das kleine verschwiegene Gesicht, in dessen schrundigen Falten der Sägestaub sich festsetzte, an den mageren flinken Mann, der die Tage hinter sich brachte für die Abende zum Trinken, wenn nicht wie an einen Freund, so doch wie an jemand, der ihm hinter dem Kanal geblieben war, ohne daß es der Glückwünsche zu den Festen oder Briefwechsels bedurft hatte. Wenn er Mr. Smith zu Besuch wünschte, so nicht zu einem Zweck, nur daß einmal so Einer ansah, wie in Jerichow, in Mecklenburg, in Deutschland neuerdings zu leben war. Es wäre ihm weniger um das Reden mit Mr. Smith gegangen.
Mr. Smith als Tourist in einem Ausland?
Mr. Smith in einem schwarzen Anzug, nicht eine Mütze sondern einen Hut auf dem Kopf, als ein Untertan seiner Britischen Majestät auf Reisen, er wäre nicht ärmlich oder linkisch anzusehen gewesen. Mr. Smith konnte den Blick so gleichmütig halten, da schien die Krankenkassenbrille eine Laune. Die Hautschäden in seinem Gesicht, sie konnten von Seewind sein. Von fremder Sprache umgeben, er hätte noch eindringlicher geschwiegen, und wäre den Zöllnern im hamburger Hafen eher würdig vorgekommen. An deren Englisch hätte er immer noch Beflissenheit und Hochachtung für seine Nation gehört. Und da Mr. Smith von seiner Person abzusehen vermochte, wäre ihm deutlich geworden, daß seine deutschen Reisegenossen, eben noch auf dem Schiff gleichberechtigt, von den Beamten barsch und mit Mißtrauen angefahren wurden, wie entlaufene Strafgefangene, die sich ihren Wächtern wieder ausliefern, nicht eben leichten Herzens.
Mr. Smith hätte nicht davon gesprochen in Jerichow; eher wäre er mit der Frage gekommen: was dies mit den Hunden sei. Ob Einer in Deutschland klüglich mit einem Hund reise, wenn ihm an Wohlwollen und rechter Bedienung gelegen sei. Ein Ausländer, um die Gebräuche der Eingeborenen bemüht.
Cresspahl hätte gesagt, behaglich und vergnügt über einen solchen Anfang des Besuchs: Quite, Mr. Smith. Oh, quite.
Mr. Smith jedoch hätte nun einen Gartenpfad vermutet, auf dem auch Cresspahl ihn nicht in die Irre führen sollte, und hätte auf der Strandpromenade in Rande wie in Jerichow ein Auge gehabt auf Passanten mit Hund, ob sie jene Art der Deutschen darstellten, die an Cresspahl in England nicht zu vermuten gewesen war.
Cresspahl fütterte inzwischen einen Hund durch, aber er hätte Mr. Smith den beiläufiger vorgestellt als die Katzenverwandtschaft, die in den Hobelspänen von der Nachtarbeit ausruhte. Er hätte gesagt: Der Hund ist nur in Pflege.
Was hätte Mr. Smith mitgebracht für Cresspahls Kind? Etwas zum Gebrauchen. Nicht geradezu ein Taschenmesser, aber eine Matrosenmütze.
Das Kind hätte sich unmerklich an ihn gewöhnt, weil er nicht mit Fragen oder Spielversuchen lästig geworden wäre, gegenwärtig nur an einem vorsichtig beobachtenden Blick, der dann rasch versteckt wurde, als sei dieser Fremde verlegen.
Lisbeth hätte alles wissen wollen von der Huldigungsfahrt Georgs V. durch die Straßen von London am 14. Juni 1935, die rotbefrackten Vorreiter und die gelbgewandeten Herolde mit ihren Fanfaren und endlich der König in seiner roten Feldmarschallsuniform, mit seinem angegrauten Spitzbart, der die Hand zum militärischen Gruß hob wie eine überanstrengte Maschine, im strahlenden Sommer und inmitten des fröhlichen Bürgerspaliers mit seinem Tod beschäftigt. Mr. Smith hätte aus ihren genauen Fragen vorerst verstanden, daß Mrs. Cresspahl dem Leben in London nachtrauerte. Er hätte sich bemüht, die Stockungen in ihrem Englisch zu übergehen, und so überhört, daß sie an unsicheren Stellen gelegentlich Wendungen benutzte, wie sie in der Bibel von King James zu lesen sind.
Cresspahl als Fremdenführer?
Auf das Gebiet von Jerichow Nord hätte er Mr. Smith nicht mitnehmen dürfen; davon ließ sich erzählen. Die Zahl der Einwohner von Jerichow war um mindestens vierhundert gefallen, seit die Baubataillone der Luftwaffe abgezogen waren und das Aufräumen und Putzen der Baustelle den Handwerkern des Winkels überlassen war. Mr. Smith hätte aus der Beschreibung der Kasernenbauten, aus der Menge der Siedlungshäuser für zivile Angestellte leicht einen Flugplatz zusammengedacht, der zu mehr brauchbar war als der Beobachtung des Wetters. Er hätte seinem ehemaligen Brotherren nicht noch gezeigt, daß ihm dessen Arbeit in England besser gefallen hatte, als er das Holz noch Stück
Weitere Kostenlose Bücher