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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Mai 1938, daß Jerichow nicht nur von Juden rein werden müsse, auch von deren Freunden. Da waren die scheinheiligen Erkundigungen nach dem Aufnahmegesuch in die Partei, das Cresspahl vor drei Jahren für einen Gesellen angefordert hatte, und immer noch nicht für sich selbst. Da war nicht einmal Gegnerschaft, nur kleinliche tückische Beinstellerei um ihrer selbst willen, und Cresspahl war gelegentlich zufrieden, daß er einen Kopf kleiner war als Jansen. So mußte er dem nicht in die lammfrommen und unsteten Augen sehen, konnte den Blick abwenden von dem großflächigen, ungeformten, angenehm durchbluteten Gesicht, brauchte das joviale großspurige Gehabe wenigstens nur im Ohr auszuhalten. Bei diesem dachte Cresspahl nicht einmal darüber nach, warum der ihm zuwider war.
    Er hielt Friedrich Jansen nicht einmal zugute, daß er weder an Stimmkraft noch an Gefühl sparte, wenn er seinen Glauben öffentlich verkündete; Cresspahl hielt das für eine Lebensversicherung. Wenn Jansen in Zeiten kam, in denen er nur eine Woche knapp zu essen, nichts an Alkohol zu trinken, womöglich mit einem Spaten und in gebückter Stellung zu arbeiten hatte, Jansen wäre bald am Ende gewesen. Ob Jansen nun ahnte oder nicht, daß er 1933 mit knapper Not vor einem Leben von Hungerlohn oder im Arbeitshaus gerettet worden war, er hätte sich sein neues Leben mit Frühstück kurz vor Mittag, Bürostunden nach Belieben, Spazierfahrten und vertrunkenen Nächten inzwischen nicht mehr abgewöhnen können. Auch was das bürgerliche Amt ihn gelehrt hatte, würde ihm nicht nützen. Er verstand nicht wie die Stadt untereinander zusammenhing, was sie für ihr Steueraufkommen von Landratsamt und Kreisverwaltung hätte zurückbekommen können, was er für Jerichow aus dem Flugplatzbau mit einem Plan hätte an Land ziehen können; das Amt verwalteten die Beamten, die Dr. Erdamer erzogen hatte, und vorläufig kam Friedrich Jansen zurecht mit seiner Vorstellung, Kumpanei an den wichtigen Stellen genüge, und alles übrige laufe nach Befehl. Noch lief es. Und Cresspahl war sicher, daß der Dicke Angst hatte vor dem Krieg, den er im Mund führte. Wenn er von einer freiwilligen Wehrübung zurückkam, bei der er sich nicht vor der Front hatte ausruhen können sondern in eigener schwerfälliger Person über Kletterwände huschen, er war ein paar Tage so freundlich, als bitte er um Mitleid. So schlecht war es ihm gegangen. Vom Militärischen verstand er nur eines. Wenn er seine S. A. im gneezer Stadtwald Erkundung des Geländes lehrte, konnte er sich mit gespreizten Beinen hinstellen und das einen Meter nennen. So habe ich ihn gesehen, breitbeinig aufgestellt, mit befangen herausgestrecktem Gesäß, von der Hüfte ab nach vorn gezogen, während ein Untergebener mit dem Zollstock den Abstand zwischen seinen braunen Stiefeln ausmaß. Das war unweigerlich ein Meter, und Jansen konnte den rot angelaufenen Kopf wieder hochnehmen.
    Lisbeth sagte: Friedrich, wie von einem Kind, das nicht lernt und immer wieder sich einschmiert; und manchmal: Friederich, nach einer unheilbar bösartigen Figur in einem Kinderbuch. Die Verse um jenen argen Wüterich kannte das Cresspahlsche Kind auswendig, jedoch ohne sich vor ihm zu fürchten. Wenn Lisbeth ihr das vorsagte, war eigentlich die Rede von einem aufgeplusterten Kerl, der mit aller Zappelei und Drohung zu nichts kommt.
    Als die Semigs außer Landes gingen, hatte Friedrich Jansen den Hund kaufen wollen, der bei dem Juden auf dem Hof gewesen war. Stand vor Cresspahls Tor, schwitzend im scharfen Seewind, und gab sich treuherzig. Als er nicht begreifen wollte, daß der Hund in Pflege war, pfiff Cresspahl nach dem Hund King. Der Hund kam eilig hinter dem Wohnhaus hervor und hetzte den Hof hinunter, nahm Platz neben Cresspahl und sah zu ihm empor, noch nicht in blindem Vertrauen, aber freundlich und zu Gehorsam bereit. Er war sechs Jahre alt, stramm am ganzen Leibe, schnell, kräftig, mit appetitlich weißen Zähnen versehen. - Na, Rex -? sagte Jansen auf der anderen Seite des Zauns, nahezu quietschend vor Gutmütigkeit. Der Hund schloß das Maul bis auf ein Weniges, so daß er noch eben ein warnendes Brummen herausbekam, und sah den Fremden aufmerksam an. - Rex -! sagte Jansen vorwurfsvoll, und wieder wurde seine Stimme zu hoch, der Vokal schmurgelte. Da Cresspahl still blieb, knurrte der Hund noch einmal in seinem strahlenden Baß, blieb jedoch noch sitzen. Nun wollte Jansen erst recht Besitz nehmen von dem abartigen Tier, das

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