Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
für Stück behandelte statt es wie jetzt mit großmächtigen Maschinen und geradezu einer Mannschaft zu Serien zusammenzubauen; Mr. Smith hätte sich vorgenommen, eher abzureisen.
Mr. Smith hätte die Hand gehoben vor einem Trupp S. A. mit Fahne wie er das Cresspahl tun sah; er hätte jeweils aus den Augenwinkeln hinter sich gesucht, ob nicht doch alle Welt ihn auslachte bei solcher Gebärde.
Dann wieder hätte er die Fahne, die Cresspahl manchmal ans Scheunentor steckte, verglichen mit der, die vor der Villa schräg gegenüber dem Grundstück aufgezogen wurde, ein Küchenhandtuch gegen ein Laken.
Die Abende bei diesen Cresspahls wären Mr. Smith sauer angekommen. Es gab erträgliche. Dann hatte Mrs. Cresspahl Flickzeug auf dem Tisch, Cresspahl seinen kalten Kaffee, und für den Gast wäre da mehr gewesen als Wasser. Im Mai ging die Sonne erst nach acht Uhr unter, und draußen war es noch lange hell. Im Lampenlicht war die Meisterin ihren zweiunddreißig Jahren ähnlicher als tagsüber, wenn sie sich durch den Haushalt arbeitete wie angetrieben, erfahren und kenntnisreich bei jedem gewohnten Vorgang, auf eine ängstliche Weise fahrig, wenn ein Besuch, eine Lieferung aus der Reihe fiel. Mr. Smiths anfänglicher Schreck über ihren Anblick hätte sich verzogen vor dem Umgang der beiden mit einander, dem geduldigen, oft scherzhaft herausfordernden Ton. In der Gegenwart von Mr. Smith wäre das noch einmal gegangen. Mr. Smith hätte sich an eine Ecke des Küchentisches gewöhnt und wäre schon fast zuversichtlich unterwegs gewesen auf den Schwingen von »Kümmel« und »Kniesenack« zu Schlaf und Traum, und wäre hart abgestürzt aus dem sanften Flug, wenn Lisbeth noch einmal zu sprechen kam auf den Tod Georgs V. im Januar 1936 in Sandringham und unverhofft aus der Tür war, in Tränen. Das hätte Mr. Smith nicht verstanden. Dann hätte er von sich verlangt, Müdigkeit vorzuschützen.
Wo hätte Mr. Smith denn geschlafen? Auf dem lederbezogenen Sofa in Cresspahls Büro, und Cresspahl noch einmal neben seiner Frau. Mr. Smith hätte da Zigaretten der Marke Seesport gefunden, auch eine sorgfältig angebrochene Flasche Schnaps, so daß der Gast versorgt war bis lange nach Mitternacht. Vielleicht hätte er nachgedacht über Seesport, der doch auch hier für die meisten Zigarettenraucher nicht erschwinglich war.
An Abenden mit Cresspahl allein, wenn Lisbeth aus ihrem Zimmer gleich nicht wiederkam, wäre es zu Gesprächen gekommen. Mr. Smith, in seiner neuen Verwunderung über deutsche Grußsitten, wäre eingefallen, daß Georg VI . sich gräßlich erschrocken hatte, als der deutsche Botschafter ihm mit der ausgestreckten Hand unter die Nase fuhr. Brickendrop hieß der, weil er in jedes Fettnäpfchen trat. Und George VI . hatte es doch schwer genug mit seinem Stottern. Es sei viel die Rede gewesen von Judenverfolgung, auch Verhaftung von Geistlichen, aber doch höflich, nicht beleidigend für die deutsche Regierung. Ausgenommen der Daily Worker, den aber kein Kiosk führte, nur freiwillige Verkäufer an Straßenecken. Und Hetzfilme wie »Professor Mamlock« seien gleicher Maßen verboten. Und wenn die Fürstin Annemarie von Bismarck in Sandwich ihre Kinder ins Wasser schickte mit Badeanzügen, auf deren linker Brustseite ein dezentes Hakenkreuz eingestickt sei, dann spreche solch Selbstbewußtsein für sich selbst.
Und nein: hätte Cresspahl gesagt. Hoffentlich hätte Cresspahl von den sieben Pfarrern Mecklenburgs gesprochen, die 1938 in Haft oder in Lagern waren. Hoffentlich hätte Cresspahl etwas gesagt über den Hund, der immer noch verwirrt und verloren sich auf dem Hof umherdrückte und immer noch keinen festen Schlafplatz hatte nehmen mögen. Das war der Hund King, der Rex geheißen hatte, als er noch Hof und Haus eines jüdischen Tierarztes in Jerichow bewachen sollte, ein Tier, das seine Brotgeber verloren hatte. Hätte Cresspahl es dem Gast nur von Anfang bis zum neueren Ende erzählt.
Und doch: hätte Mr. Smith womöglich geantwortet: die Wohlfahrt der Wirtschaft.
Und nein: hätte Cresspahl gesagt. Was in Deutschland an Handwerkerbetrieben ruiniert sei, er schätze die auf über 50 000. Und daß jetzt jeder Handwerker an die Pflichtversicherung zahlen müsse, da wolle die Regierung noch an den Bankrotten verdienen. Und schon jetzt seien Stahlrahmen für Maschinen nicht mehr zu bekommen, so gierig habe die Rüstung um sich gefressen; wie Mr. Smith sich das denn vorstelle, eine Dicktenhobelmaschine auf einem
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