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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Komplimente, will sich getäuscht haben, findet Mrs. Cresspahl heute abend von blühendem Aussehen. - Gjesinneé: sagt er.
    Hier haben wir Mrs. Cresspahl, müde, ohne Lust zu Arbeit, blickfaul, etwas taub inmitten des langwierig genauen Gesprächs zwischen Charlie und seiner Kundschaft, munteren breitschultrigen Männern, die so ausführlich Gerichte verzehren, als kämen sie eben aus dem Bett und fingen jetzt erst an mit dem Tag. Die genußvolle Geschicklichkeit, mit der Charlie seine Steaks und Hamburger auf dem Kohlengrill wendet, der würzige Bratrauch, die gesellige Wärme, alles ist sehr entfernt. Fast unerträglich sind die fünf Minuten, bis Mr. Weiszand allein auf dem Broadway in die nasse Dämmerung davonschreitet, in einen prächtigen Trenchcoat britischer Machart gerüstet, die bis in die Mitte des Schädels nackte Stirn versonnen und verärgert erhoben, unterwegs zu soziologischen Studien, nicht solchen der internationalen Finanzwirtschaft, ein Mann der gefühlvollen Begrüßungen und Abschiede, ein Freund, der unkenntlich geworden ist.
    – Was wollte denn Dmitri: fragt Marie, die im Schwimmbad unter dem Hotel Marseille gewartet hat, ganz verkleidet in der engen weißen Kappe.
    – Kaffee nicht allein trinken.
    – Hat er wieder Nazis in Westdeutschland gefunden?
    – Nein. Es war, daß von einem Dollar des Nationalhaushalts 13 Cent auf Erziehung und Gesellschaft gehen, aber 14 auf den Krieg in Viet Nam und 43 auf Ausgaben für die Verteidigung.
    – Der macht bald wieder eine Demonstration an der Columbia: sagt Marie, nimmt ihren Schlüssel vom Handgelenk, wirft ihn ins Wasser, springt in einem gleitenden vergeßlichen Ansatz hinterher.
    Wir entschuldigen uns, Mrs. Cresspahl.
    Auf Eleganz kommt es mir nicht an.
    Aber uns, Gesine, und wir hätten es so nicht angefangen.
    Und wenn ich mich nun irre?
    Dann hast du dich geirrt, Gesine.

31. Januar, 1968 Mittwoch
    Die New York Times bildet den Senator J. W. Fulbright ab als einen ernsthaften, bedächtigen Mann, der weiß was er fragt. Nunmehr will er vor den Ausschuß für Auswärtige Beziehungen auch noch den Kriegsminister McNamara laden, mit der Frage: ob jene Zerstörer im Golf von Tonkin vor dreieinhalb Jahren, wenn überhaupt, nicht auch deshalb von Booten Nord-Viet Nams angegriffen wurden, weil sie auf Spionagekurs in die fremden Gewässer hinüberwechselten. Er mag keine andere Antwort erhalten als daß damals der Krieg hätte vermieden werden können, in dem heute amerikanische Truppen ihre eigene Botschaft in Saigon angreifen mußten, weil sie von Viet Cong besetzt war.
    Friedrich Jansen nannte seinen Führer, wegen des Sudetendiebstahls, einen Staatsmann von Format, und Cresspahl stimmte ihm zu.
    Mein Vater machte nicht Spaß. Wen er auf die Schippe nahm, der sollte nicht nur merken, auch ertragen können, daß er verladen wurde, damit das Vergnügen gegenseitig war. Das war an diesen Ortsgruppenführer und Bürgermeister verschwendet, und überdies hätte er sich mit dem nicht so stellen oder hinstellen mögen. Friedrich Jansen war 1938 fünf Jahre Bürgermeister von Jerichow gewesen, und Cresspahl hatte ihn ausgiebig angesehen. Er hätte den als Schwein beschrieben. Nicht im deutschen Sinn des Wortes, schlicht wegen seiner Ähnlichkeit. Da war Jansens rosige Länge, obendrein weißlich behaart, die schweren Schenkel, nicht wuchtig sondern wabbelig, die massigen Arme, ansehnlich auf den ersten Blick, weichmusklig auf den zweiten, und am ganzen Leibe das zarte ängstliche Fett, angesammelt in sechsunddreißig Jahren ohne handfeste Arbeit. Das reichte Cresspahl nicht, ihn ein Schwein zu nennen; vielleicht war ihm das mecklenburgische Wort dafür zu schade. Er nannte ihn beim vollen Namen, mit einem gewissen Ernst. Damit tat er dem Vertreter der Hitlerpartei größeren Schaden, und billiger.
    Der im Deutschen übliche Mißbrauch des Tiernamens hätte dem Pg. Jansen nicht übel angestanden, selbst wenn Cresspahl nur rechnen wollte, was er allein von ihm auszuhalten und zu gewärtigen hatte. Da war das ziegenlederne Notizbuch, auf das Jansen so gern pochte, das er im Suff seinen Kumpanen auch einmal aufblätterte, in dem die Anmerkungen zum Buchstaben C mittlerweile die Abteilung für D halb aufgefressen hatten, obwohl in Jerichow nur noch ein Name so anfing wie der Cresspahls. Da waren die eifrigen Meldungen an die Gestapoleitstelle in Gneez, von denen Cresspahl nicht nur durch Rückfragen erfuhr, auch durch Warnungen. Da war Jansens Rede zum 1.

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