Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
die arische Rasse an Juden verraten hatte, und Cresspahl mußte es früher als dem Kind recht war verkaufen an einen Ingenieur aus Berlin, der auch Gefallen daran gefunden hatte. Als der Hund längst in einem Garten im Grunewald wohnte, kam Jansen wieder und wollte wenigstens den Stammbaum sehen, und Cresspahl sagte ihm noch einmal, das Tier sei nur in Pflege gewesen.
Jansen wuchsen so viele Fragen gleichzeitig im Kopf, daß er nur herausbrachte: Ich dachte.
Schimpfen wollte er nicht geradezu. Er war inzwischen Cresspahls Nachbar. Das Haus des Juden hatte er so wenig bekommen wie dessen Hund, fünf Jahre hatte er zur Miete wohnen müssen in dem Haus Dr. Erdamers an der Rander Chaussee, endlich war er in der Villa der Ziegelei, einem der angesehensten Häuser der Stadt, weil es von einem schweriner Bankier als eine Gelegenheit zu nichts als Wohnen errichtet worden war, noch vor der Jahrhundertwende, ein ausführliches nicht klotziges Gebäude mit ausnehmenden Fenstern, überhohen Gartentüren, einem flickenlosen Ziegelhut, in einer dichten weißen Ölhaut. Davor zog nun Friedrich Jansen die Fahne mit dem indischen Glückssymbol auf. Zu der Villa gehörte die Ziegelei, und die von Zelcks hatten den Besitz nur geopfert, um eine zerstrittene Erbengemeinschaft unter einen Hut von barem Gelde zu bekommen. Das war, wie sie sagten. In den Jahren nach Paepckes Pacht waren die Aufträge zurückgegangen, weil inzwischen fast alles mit Ziegeln hochgemauert war, was die Großdeutschen für den Krieg brauchten, und für den Rest Ausführungen in Beton geplant waren. Das sagten sie Friedrich Jansen nicht. Jansen hatte von der Villa nicht viel mehr als die Kaufurkunde zu Eigentum, so platzgreifend wohnten da nun Hypotheken mit, und zum Erwerb der Ziegelei hatte er sich mit Genossen zusammentun müssen, denn er hätte aus seinem politischen Amt wohl gern ein Vermögen an sich gezogen, war aber dazu nicht geschickt genug. Jetzt saß er abends über den Zahlen, die ihm sein Treuhänder aus der Buchhaltung zog, und fand sie betrübend, und dachte mit Sorgen an die Freunde. Der alte Jansen, Rechtsanwalt in Gneez, hatte es hingenommen, daß Friedrich ihm 1933 wegen seines Mißtrauens gegen die neue Herrschaft Verachtung und ähnliche Sohnesstrenge ausgesprochen hatte, und ließ sich auf den Ortsgruppenführer in Jerichow nicht ansprechen, geschweige denn von ihm selbst um Hilfe angehen. Aber ein Kameradschaftsfest im hohen Erntesommer, mit festlicher Beleuchtung und dicht besetzten Brettertischen auf dem ehrwürdigen Rasen, mit Gesängen und Wettschießen und Trinksprüchen bis nach Mitternacht, es mußte doch sein.
Bei den von Bobziens (den selben, die ihren Gräfinnenwald nicht für Übungen der S. A. freigaben) stand ein Zuchtbulle, der hieß Friedrich der Große. Er war so in den Listen des Herdbuchamtes eingetragen, und da auch das Kreistierzuchtamt einen Anstand an der Namensgebung nicht genommen hatte, war für Friedrich Jansen kein Einschreiten. Die Bobziens zeigten das Tier bereitwillig vor, auch wenn der Besucher gar keine bullende Kuh am Strick mitführte. Es war ein mächtiges Tier, träge und tückisch, und hatte einen etwas zu dösigen Blick. »Wie Bullen eben sind.«
Dieser Jansen erinnerte sich an die zwei Filmbesprechungen, die er in seiner Studentenzeit probehalber hatte einreichen dürfen, und sprach von der »glänzenden Regie«, wenn er die Stationen der Tschechenkrise aufzählte, in seinem hohen, betulichen Ton. Der Henleinputsch vom 12. September galt ihm als »nordische List«. Er hatte die Redensarten seiner Herrschaft so oft nachgesagt, er dachte dabei nicht mehr und vergaß vor dem nächsten Satz gelegentlich den davor. Die Pausen, in die er so fiel, versuchte er mit hastigen fragenden Abfällen zuzuschütten. »Nich, nich?« Für Jansen war Hitlers Rede im Sportpalast am 26. September »genial« und was Studenten sonst noch so Worte gebrauchen: eben weil sie einen Wortbruch ankündigte. Denn wenn »der Führer« an territoriale Forderungen nicht dachte, warum sprach er sie aus, und mochte er sie nur abstreiten? - Die Welt ist gewarnt: sagte Friedrich Jansen schwer. Er hatte Cresspahl zu Fuß auf dem Ziegeleiweg erwischt und ging in einem fort rund um ihn her, um ihn vom Weitergehen abzuhalten. Manchmal hatte er einen ängstlichen Ton, als sei er selber in Gefahr, wenn der Zuhörer ihm nicht glaube. Ein großer rosiger Kerl, der mit den Armen schlenkert, ein ungefüger Tänzer. Es war also nicht ein
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