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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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nach halben Hektar. Von Jerichow über Rande nach Travemünde ginge eine Küstenstraße mit Platz für drei Autos nebeneinander.
    Papenbrock wäre bis 1952 von neuem reich geworden an der Verwaltung der neuen Großmacht, des adligen Grundbesitzes. Vor seinem Tode hätte er noch das Lassewitzsche Stadthaus losgeschlagen. Die Stadt würde es durchbauen, auch Stukkateure aus Hannover kommen lassen für die Girlanden unter den Fenstern. Das Haus wäre zur Hälfte Museum, zur anderen eine Höhle für Behörden. Die gutmütige S. P. D. von Gneez.
    Unter fast jede Straße hätten die Stadträte inzwischen Kanalisation gelegt. Die Ziegelei wäre verwandelt in eine Fabrik für Haushaltswaren aus Kunststoff, um Arbeitskräfte in Jerichow zu halten. Peitschenlampen noch in der Bäk. Auf dem Markt nachts leuchtete ein Neonpilz an langer Stange. Das Krankenhaus wäre das Pförtnerhaus einer Klinik geworden, mit Operationssaal. Ins Bahnhofsrestaurant hätten sie eine niedrige Decke eingehängt, die verheizten Möbel wären ersetzt durch Gelsenkirchener Barock, klimatisierte Kuchenvitrine, da wären Teppichfliesen ausgelegt.
    Das alte Wirtshaus auf dem Weg zum Gräfinnenwald wäre eine Weile in Reiseführern verzeichnet. Mitte der fünfziger Jahre in Brand gesteckt, neu erbaut als zweistöckige Ecke, Pension und Restaurant. Die Schwäne würden den Försterkrug nicht erkennen, den neuen Namen läsen die nicht. Die Pächter in raschem Wechsel, bis zum Entsetzen verwundert über das Ausbleiben der Gäste. Die Werbung hatte doch von einer »Perle« nordischen Städtebaus gesprochen, mit Schönheit der Landschaft gelockt.
    Wiederum wäre Jerichow der Kreisstadt unterlegen. Die Straße nach Gneez wäre fünfmal täglich mit Omnibussen befahren, zur höheren Ehre des Unternehmergeschlechtes Swenson. Im Kopf stünde nicht: Jerichow, sondern: Gneez-Rande (über Jerichow). Gneez zöge an und nähme weg: Hausfrauen, Arbeiter, Beamte, Kinogänger, Schüler. In Gneez wären nicht nur die Filme so frisch wie in Ratzeburg oder Lübeck. In Gneez böte die Volkshochschule Fremdsprachen, Lichtbildervorträge, Vorlesungen aus Romanen. In Jerichow herrschte Mißstimmung über den Neubau des gneezer Finanzamtes. Jerichows bestbekannte Attraktionen: ein ältliches Schwimmlehrbad der Luftwaffe und ein etwas näherer Verlauf der Grenze.
    Rande wäre gewachsen, und Jerichow hätte wenig abbekommen. Das Strandgebiet von Rande wäre auf einen Kilometer Tiefe bebaut mit Wochenendhäusern, Stockwerkeigentum, Villen. Kurkonzert im Pavillon vor dem Hotel Erbgroßherzog. Das hieße womöglich Baltic. Sogar in Rande gäbe es Waren und Unterhaltungen, die in Jerichow fehlen. Rande hätte ein Kurmittelhaus, ein temperiertes Meerwasser-Schwimmbad, ein moderneres Kino als das im jerichower Schützenhof, und viele Geschäfte wären auch im Winter geöffnet. Die Straßen von Rande wären zweimal, dreimal durchgebaut. Auf den Richtungsschildern vor und hinter Gneez stünde Rande öfter als Jerichow. Ilse Grossjohann wäre nicht lange Bürgermeisterin geblieben. Jedoch hätte sie zwei Kutter liegen an der neuen Landungsbrücke, und wo die Ausflugsschiffe von Dänemark anlegten, hätte sie eine behaglich bebuschte Falle gebaut, das Gartenrestaurant Najade.
    Der Flugplatz Jerichow Nord wäre der Flugplatz Mariengabe, für nichts zugelassen als privates Gerät, Konkurrenz für Lübeck-Blankensee. Die Bahnen waren ja länger als 1800 Meter, Wertarbeit von 1936 obendrein. Mariengabe das jährliche Ziel von internationalen Sternflügen. Sportlich, privat, dicht an der Grenze und nichts als friedlich.
    In der Nähe von Rande wäre ein Radarhorchplatz eingerichtet, auf der Steilküste nicht weit von der Grenze, durch Knicks vor Einsicht geschützt. (Die Bundesrepublik, noch heute nicht souverän, durfte die Anlage 1960 als militärischer Partner von den Briten übernehmen.) Immer noch, 1968, die alten drei Baracken der Marine an der Ostseite des kleinen Sportfeldes. Sie sähen weiterhin vorläufig aus. Der rotierende Radarschirm läßt sich in kurzer Zeit von seinem Ständer abmontieren und auf die drei Lastwagen verladen, die auch geparkt sind, als warteten sie auf die Abfahrt. Fahnenmast auf dem Platz vor der Ausfahrt, ein irre gewordener Schäferhund neben dem Schilderhäuschen. Das Geräusch der Ostsee wäre hier durch das Brummen der Motoren verdorben. An drei Ecken Schilder unterm Stacheldraht: Militärischer Sicherheitsbereich, unbefugtes Betreten verboten, mit

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