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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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die von drei Seiten auf uns überdunstete. Es ging um die Ehrfurcht vor dem Alter, und es war zum Ärgern, daß dies Kind nicht Angst zeigte, sondern ein Bedürfnis nach Abstand.
    Der Busfahrer verkaufte die Gegend über ein Mikrofon. Die Kommentare seiner Fahrgäste zu neuen Einfamilienhäusern, verkäuflichen Seegrundstücken waren von einem gutmütigen Neid: Ist das nichts? ja aber was das kostet. Der Chauffeur hatte sich den Dialekt heruntergeschaltet, aus Entgegenkommen; von seiner Natur waren grammatische Fehler übrig, die hatte er gelernt. – Vielleicht intressiert es Ihnen. Er wies hin auf ein aufgegebenes Wirtshaus, berichtete den traurigen Tod des Besitzers. Dorthin seien die Männer recht gern gegangen, es sei noch kein Telefon gelegt gewesen. Erklärungen zur Ökonomie der Gegend: sie sei landwirtschaftlich. Anbau von Korn, auch Raps, – das is ne Öölfrucht. Und eben die weiße Industrie, – also Sie, meine Herrschaften, Sie bringn ja was. Nach solchen Tiefenmessungen der Toleranz sah er lauernd in den Innenspiegel und sammelte das beifällige Gelächter der Ausgenommenen. Erzählungen von Flüchtlingen, Bürgern der D. D. R., die in Bett-Tücher vermummt über die zugefrorene Lübecker Bucht bis zur Fahrrinne gingen, – schlugen sie sich ne Eisscholle los da unt schipperten rüber. Es blieb zuverlässig hängen als künftiger Traum von antreibenden Leichen, die man im Schwimmen mit der Hand an der Hand berührt; und hatte doch nur die Segnungen der freiheitlichen Wirtschaftsordnung ins Licht rücken sollen. Weißes, freundliches Licht, Blumen in den Vorgärten, die Ziegel wie gebürstet, die Reetdächer säuberlich geflickt, als sei der Krieg hier nicht vorbeigekommen. Vor, in und hinter Lensahn erklärte das Mikrofon die Reichtümer des Erbgroßherzogs von Oldenburg, – aber in Oldenburch!, Güter und Wälder und ganze Dörfer, – das gehört allns ihm! Das Schweigen der Fahrgäste war verstört vor Achtung. Der Anblick von Storchennestern schien im Fahrpreis enthalten, so vollzählig wurden sie vorgeführt. Ein Dorf gewann den Wettbewerb um den Titel des Schönsten Dorfes, der Preis ein Hahn aus Bronze, – aber unser Kreispräsident wohnt hier, und vielleicht hat er doch nachgeholfen. Gehorsames Gelächter über die menschlichen Schwächen hoher Beamter, Hinweis auf ein Anwesen weit entfernt nördlich der Straße, – sehn Sie da das Herrnhaus? da is ein Film gedreht wordn, Hochzeit auf Immnhof, erinnern Sie Ihnen wohl? Viele Ahs und Jahs, gerenkte Hälse. In den Kasseedorfer Tannen, tatsächlich ein Mischwald, soll man links der Straße einen Abgrund vermuten, verdeckt von Bäumen: hier kam Carl Maria von Weber der Einfall mit der Wolfsschlucht! Wenig später, am Ufer des Eutiner Sees, – erinnern Sie Ihnen an die vier Bäume? Da waren die Badeszenen des Films Hochzeit auf Immenhof. Die Rosenstadt Eutin, das Geburtshaus des Komponisten, das Wohnhaus von Voss, das wäre doch gelacht mit der Kultur. Und auch das Eutiner Schloß gehöre dem Erbgroßherzog von Oldenburg, – das is aber in Ollenburch! Kaffeepause zwischen Keller- und Ukleisee, angesagt im Ton einer Verordnung, das wäre doch gelacht mit den Prozenten von der Gastwirtschaft.
    Marie ging ohne Blick für die Schönheiten der vorausbezahlten Landschaft auf einen Steg, ließ sich nieder, zog den Strumpf vom Fuß, tat das mißhandelte Bein ins Wasser. Sie klagte nicht, sie tat das Nötige. Sie war in jenem August eben sieben Jahre alt, erst drei Jahre in New York, sie zeigte die Disziplin des Ferienlagers Castle Hill. Beim Einsteigen in den Bus zeigte sich ihr Humpeln. Jene Dame, die sich die Haare zu einem Bilde von Entrücktheit und großmütterlicher Eleganz hatte legen lassen, wandte sich ehrlich empört an die Mutter des mißratenen Kindes und wünschte ihr ein Hüftleiden im Alter; fast weinte sie vor Wut. – Vi forstår desværre ikke tysk: sagte Mrs. Cresspahl.
    Bei der Abfahrt zog der Busfahrer eine Erkundigung ein. Ob auch jeder wieder seinen Nebenmann und seine Nebenfrau habe. Er konnte sich nicht lassen vor Genuß an der fünfzigsten Wiederholung. Die zwischen Chauffieren und Conférence geteilte Aufmerksamkeit schickte seine Sätze zuweilen in recht heimatliche Pleonasmen: hier in Malente sint würklich wunnerschöne S-pazierwege, unt da kann man würklich wunnerhübsch s-paziern gehn. Er kündigte die Bootsfahrt über fünf Seen an und sprach von dem einen Rettungsring für hundertfünfzig Personen, – der is nemtlich

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