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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Schußwaffengebrauch ist zu rechnen, der Kasernenkommandant, der Bundesminister für Verteidigung, Verfolgung nach §§ 100 Absatz 2, 109 g. Hätte Jerichow nicht.
    Manchmal, und öfter, benähmen sich die Jerichower als wären sie Klützer. Sperren die Stadtstraße für ausgewachsene drei Tage, nur um Stromkabel auszuwechseln. Sollen die Touristen, die bloß an die See wollen, doch einen Umweg fahren! Der Bagger, der die Gräben aushebt, ist das neueste Muster, und sein Führer kann damit so kantengenau arbeiten wie früher Heine Klaproth beim Arbeitsdienst. Am Rande kann der Junge noch flink herziehen über die Torheit der verdutzten Fremden. Heine Klaproth als Vater. Das geschickte, orange gespritzte Ungeheuer wäre allerdings bei einer lübecker Firma gemietet.
    Denn Gräber in Jerichow würden nach wie vor mit der Hand ausgehoben. Für Amalie Creutz wäre es zu spät gewesen. Zu Weihnachten besuchen die Familien den Friedhof. Die Blautannen, die sie mitnehmen, dürfen gestohlen sein, nicht jedoch bei einer Person, die der verstorbenen fremd war (das könnte übelgenommen werden). Dann gehen sie nach Hause und schütten den Kühen ein zweites Futter vor, das Weihnachtsbrot. Es müssen aber alle dabei sein. Abends Gottesdienst. Brüshaver wäre doch unter der Erde, nicht auf der Kanzel. Vom alten Papenbrock wüßte man ein Grab. Cresspahl wollte nicht mehr. Ein anderer könnte leben.
    Die Fremde, die in der Apotheke nach der chemischen Reinigung fragt, würde nicht nur an das Haus »gegenüber der Shell-Tankstelle« verwiesen; sie bekäme auch gleich ein mündliches Gutachten über Dauer und Güte der Behandlung. Das wäre geblieben.
    Beratung in rechtlichen Fragen: Dr. Werner Jansen. Immobilien: N. Krijgerstam in Firma R. Papenbrock. Taxis, Omnibusse: Heinz Swenson. Auskünfte über Flurnamen und Ortsgeschichte: O. Stoffregen. Die wären, vielleicht, geblieben.
    Freunde in Wismar müßten über 65 sein, um Leute in Jerichow zu besuchen. In Bad Kleinen umsteigen in den Interzonenzug nach Hamburg über Schönberg und Lübeck. Wären einander recht fremd geworden.
    Wenn Jerichow zum Westen gekommen wäre.
    30. Mai, 1968 Donnerstag Memorial Day
    Am 30. Mai vor hundert Jahren gab General John A. Logan einen Befehl. Er war damals Oberbefehlshaber der Großen Armee der Republik und hatte gut verfügen, daß dieser Tag bestimmt sei, die Gräber der Kameraden zu schmücken, »die in der Verteidigung des Landes gegen den letzten Aufstand starben«. Es ist dabei nicht geblieben, die Erinnerung soll nun den Toten der auswärtigen Kriege auch noch gelten, und insbesondere dem unbekannten.
    Bei uns suchen sie ihn um die Ecke, am Riverside Park bei der 88. Straße, wo das Denkmal der Soldaten und Seeleute steht. Vor dem nutzlos edlen Tempelchen, dem Choregischen Monument des Lysikrates in Athen nachempfunden, marschierten sie heute morgen auf mit Trommeln, Trompeten und Glockenspielen, Männer und Kinder in Uniformen, so daß noch bei uns die Luft voll Donner und Pfeifen hing.
    Wir waren auf dem Weg zum Bahnhof Grand Central, da schwenkten die Reste der Kolonne in die 95. Straße, wir sind ihr nicht entgangen. Es waren Teile eines weiblichen Regiments, wüst entschlossene Damen, die gar nicht erinnerten an Bürodienst oder Krankenpflege im Koreakrieg, so steil hielten sie die Fahne, schwenkten steif die Arme, schmissen das Bein. Die beiden armen Häuser auf der Südseite der Straße hingen voller Flaggen. Bis zu drei Köpfe waren in den Fenstern zu zählen. Auf unserer Seite standen die Alkoholiker, benommen, hilflos, patriotisch. Einer hielt ein Kinderfähnchen in der Hand, und wußte es nicht. Der Marschzug war an den Rändern begleitet von Jungen und Mädchen, die liefen hin und her mit Maschinenpistolen und Handfeuerwaffen aus Plastik, die waren den wirklichen zum Täuschen ähnlich, und zumindest das Geräusch war gelungen.
    Die Schulen, die Postämter, die Börse, die Banken sind aus dem heiligen Anlaß geschlossen. Die Ferien dürfen bis zum Sonntag dauern.
    Ferien auf dem Lande, am Sund von Long Island.
    Ferien mit Amanda Williams, Naomi Prince, Clarissa Prince. Mr. Williams wartet in New York, Mr. Prince hat sich scheiden lassen, Clarissa Prince ist fünf Jahre alt. Marie Cresspahl wird sich die Ferien verdienen müssen.
    Das Haus gehört dem Vater Naomis, einem Buchhalter, sein Leben lang hat er dafür gearbeitet. Seine Einsamkeit steht im Wohnzimmer, ist im Arbeitszimmer ausgehängt: Jahrbücher der Börse von

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