Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
für den Kapitän gedacht! Der Eigentümer habe ihm das auseinanderklamüsert: Kapitäne seien knapp, aber Fahrgäste seien leicht wieder zu bekommen. Die Fahrgäste, statt ihm in die harmlose Fresse zu schlagen, lächelten sinnig.
Den drei Fahrgästen, die nicht auf das Boot möchten und im Bus weiterfahren nach Plön, erklärte er gleichwohl weiterhin die Landschaft. Ja, – da verbrenn sie tas Stroh. Wird ja heute nich mehr so gebraucht. Da fahrn sie das auf ein Haufn unt zünn tas an. Nun zum Ortsnamen Fegetasche: aber heute is es der Name von ein bekanntes Restaurant, das soll heut noch so sein. Tatsächlich wurden da die Börsen gefegt, viel Silber nahmen sie da für Kaffee und Coke. Marie sah gleichmütig der Feindin entgegen, die schon vom anlegenden Dampfer aus den Garten absuchte nach ihren störrischen Opfern, sie blickte der vorbeirauschenden Fregatte genau in die Augen, aber ihre Forschungen waren nicht abgeschlossen, sie sagte immer noch nichts. Sie wußte, daß wir allein mit diesem Bus rasch zu unserem Leihwagen zurückkamen.
Auf der Rückfahrt durch Plön wurden gezeigt das Schloß und die ehemalige Kadettenanstalt: das ganz berühmte Internat! dort werde im nächsten Jahr ein Verwandter eines orientalischen Despoten erwartet! Der Diktator war den Fahrgästen wohlvertraut, und sie nickten mit Verständnis. Muß sein. Später Hinweise auf ein Trakehnergestüt, auf eine alte Scheune, deren Strohdach bis zur Erde reicht, auf wiederum Storchennester, – den Kindern zuliebe. Auch diese Anspielung wurde mit freudigem Lärm begrüßt; ermattet, befriedigt sackte er zusammen und schaltete die Bandkonserve ein, Lieder aus den Konzerten des Großdeutschen Rundfunks und der Naziwehrmacht:
Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern (zu singen bei Verlusten im Seekrieg)
Schwarzbraun ist die Haselnuß (hellbraun die S. A.)
Das ist die Liebe der Matrosen (…)
In einem Polenstädtchen (da lebte einst ein Mädchen)
Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht:
– ganz ohne Gummi hält die Hose nicht! sangen die Frauen im hinteren Teil des Busses mit, in ihren Wechseljahren schwankend, gewandet in diskret bürgerlicher Art. Ihr Chorleiter führte sie über Neustadt, entzückte sie mit den Geldern, die eine Umgehungsstraße verschlucken würde, machte sie fromm mit den Kosten für eine Herrichtung des Hafens. Er sagte ihnen nichts von den 7300 Häftlingen der Nazis, die bei vergleichbar angenehmem Wetter im Mai 1945 sterben mußten im Meer vor der Stadt, nicht einmal von den 600 Matrosen und Bewachern, die in solchem Dienst untergingen; so brauchte er ihnen das Ehrenmal am Strand bei Pelzerhaken nicht zu zeigen, doch auch eine Sehenswürdigkeit und womöglich die Frage wert, was dies nun wieder gekostet habe, und wer es bezahlte. Sie sangen nach Band, und so erschöpft von Seligkeit waren sie beim Aussteigen in Grömitz, daß sie das ausländische Kind Marie nicht mehr beschimpften, nur noch bedauerten als Opfer einer fehlerhaften Erziehung. Marie saß kaum im Auto, sie verriegelte ihre Tür.
Ein westdeutscher Ausflug. Um Mitternacht waren wir an der Fähre nach Bornholm. Marie stritt ab, sie habe auch nur für einen Augenblick Angst gehabt. Jetzt sind wir gegenüber der Küste von Long Island.
1. Juni, 1968 Sonnabend
Marie war auf Kundschaft, und in den Wäldern um das Haus herum fand sie keine New York Times übrig, sie hätte denn eine stehlen müssen im Yachthafen, die lag in einem Cockpit aufgeblättert wie für eine Werbefotografie. (Marie fand es angeberisch; sie wünscht sich seit vorgestern ein eigenes Boot.) Was sie gefunden hat ist eine Ente, ein feistes kleines Tier aus dem Landkaufhaus. Denn den Braten wollte keine machen, nicht Naomi, nicht Amanda Williams, nun soll Mrs. Cresspahl ihre Kochkünste in schräges Licht setzen. Naomis Vater hat zum letzten Mal im Jahre 1937 einen neuen Herd für seine Küche angeschafft, ein tüchtiges verräuchertes Stück, da ist die Temperatur zum Raten. Die Aufgabe ist ein Braten für fünf Personen in einem fremden Ofen, und die beiden Damen lassen ihren Appetit am Strand von der Abendsonne bestrahlen. In Cresspahls Küche stand ein Mädchen neben Jakobs Mutter und bekam Unterricht: Leber, Herz, Magen und ein wenig Speck wiegst du mit einer Zwiebel recht fein, und mische dazu ein Ei, eine Prise Pfeffer, Salz und ein in Brühe geweichtes Weißbrötchen. Brühe fehlt. Zum Glück steht in Mr. Gehrigs Küche ein Mädchen, das sieht der Arbeit zu: Alsdann nähe
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