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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Dann wurde das nördliche Ende des Zauns quer vor die Bäk gezogen, und die Straße wurde in Jerichow nicht wieder gesehen bis auf den heutigen Tag. Die Anlieger des Zaunes an der Stadtstraße klagten über den Schatten, den das Bauwerk nun warf auf Gartengewächse, die Schatten nicht vertrugen. Wessen Schuld war es?
    Cresspahl jedoch mit all seinem Haus und Grundstück lag außerhalb des Zauns, auf der anderen Seite des Ziegeleiwegs. Für seine Freunde hatte er gesorgt: Die Gärtnerei Creutz gehörte zum besetzten Gebiet, und wenn sie ihre Erzeugnisse auch sämtlich an die Kommandantur abliefern mußte, Amalie durfte den Weg neben dem Pfarrhaus zur Stadtstraße nach wie vor benutzen, und das Pachtland von der Kirche war für sie miteingezäunt wie auf ewigen Besitz. Auch Pastor Brüshaver, wiederum ein Cresspahlscher Nachbar, durfte frei leben in seinem Haus, an einer strategisch schwachen Stelle, deren Abschließung den grünen Armeezaun erst zur vollständigen Festung gemacht hätte. Und Cresspahl hatte sich versichert gegen Plünderer und unerwünschten Besuch, zu ihm kam man nur über den Ziegeleiweg, der aber neuerdings ein Straßenschild aufwies, das allererste in seiner Geschichte, nämlich ein zum Pfeil gespitztes Schild mit der Aufschrift КОММАНДАНТУРА . Wer mochte unnütz in solche Richtung gehen? Nicht einmal für eine deutsche Übersetzung hatte Cresspahl gesorgt. Es sah geradezu aus wie eine Aufforderung, die russische Sprache zu lernen, und es war Cresspahl zuzutrauen.
    Und Bergie Quade hatte er gezwungen, die Kommandantur der Sowjets zu betreten. Jener Rotarmist, den sie so schlagfertig aufgeklärt hatte über »Wassergahn«, kam wieder in ihren Laden, und diesmal mit einem Jungen, einem Flüchtling aus Pommern, den Cresspahl in seinem Haus hielt. Um die siebzehn Jahre, aber kräftig in den Schultern, und er sah Bergie in die Augen, als sei er längst erwachsen, schweigsam obendrein; den konnte sie nicht abschieben, nicht wegreden. Der Rotarmist sah beim Sprechen Frau Quade an, und sie kam sich fast appetitlich vor unter seinen erinnernden Blicken. Der Junge lächelte nicht, sondern übersetzte. Es klang zuverlässig norddeutsch, sogar wenn er bei seiner Roten Armee etwas zurückfragte. Bergie Quade konnte nicht an gegen das Bedürfnis, sich noch einmal die Hände zu waschen. Guten Willen zeigen wollte sie inzwischen, so daß sie die Besucher zum Mitkommen in die Küche einlud. Sie versteckte ihr Vergnügen, als sie dann zwischen den beiden die Stadtstraße hinunterging, wie abgeführt, wie eine verhaftete ehrliche deutsche Bürgersfrau, und ihr gelang sogar das düster entschlossene Gesicht dazu. Sie folgte den beiden über das Creutzsche Gelände, hielt sich ein wenig auf bei Amalie, die die Zaunbauer beim Umsetzen von Stachelbeerbüschen beaufsichtigte, und betrat dann wahrhaftig das abgeschlossene Gebiet der Besatzungsmacht. Die Rote Armee lernte in den nächsten Stunden von ihr Flüche, die noch eine Zeit lang verquer im Sprachschatz der jerichower Sowjets umherwimmeln sollten, und Jakob Abs bekam von ihr Lob für die sachte Genauigkeit, mit der er ihre Anweisungen in Handgriffe umsetzte, wie ein Fachmann im Klempnern. Die letzten deutschen Besitzer der Ziegeleivilla hatten den Sowjets lieber durchgesägte Abflußrohre hinterlassen wollen als heile, die Wasserhähne in Küche und Bad sahen für Bergie verdächtig nach Hammerschlägen aus, und im geheimen war sie verwundert über Leute von immerhin Adel, die ein Haus so behandelt hatten. Dann hatte Bergie Quade die Wahl zwischen einer Rechnung an die Stadtkasse und einer Halbliterflasche Wodka ohne Etikett, nahm ihres Mannes Labsal und trank auch einen unberechneten Schluck mit dem Rotarmisten Wassergahn, weil der bei der Arbeit geholfen hatte. Als Jakob sie durch die Vordertür der Ziegeleivilla auf den zivilen Ziegeleiweg hinausführte, war sie versucht, einmal in Cresspahls Haus nachzusehen, ob er nicht doch Hilfe brauchte mit all den Flüchtlingen und dem Kind. Aber Jakob schüttelte den Kopf, und Bergie ging an der Friedhofsmauer entlang zur Stadtstraße wie auf einem gewöhnlichen Weg, die Werkzeugtasche in der Faust und die Flasche unter der Schürze, wo früher ihr Hühnermistverband gewesen war, und stak tief im Überlegen, wem sie was von diesem Ausflug erzählen sollte. Besah sie es recht, so hatte sie mit ihrer Anstellerei Cresspahl Zeit genommen und Arbeit auch. Daran zumindest war er also nicht schuld. Es war nur so,

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