Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
gleich dem schüchternsten Huhn in der vordersten Bank. Diese andere Amanda schlich, ja sie drückte sich in Mrs. Cresspahls Zimmer, und ehe die noch raten konnte auf schlaflose Nacht oder Alkohol, wiesen Tränen ihr ein anderes Unglück. Es wird nun nichts mit dem Haus am Sund von Long Island, mit unserem gemeinsamen Wirtschaften ganz ohne Männer. Dafür brauchte Amanda eine Entschuldigung, als sei es das Schlimmste. Sie war eine von den 150 Millionen Fernsehern, die die massive Übertragung der Kennedy-Zeremonien verfolgten, ganz mit dem Ausdruck der New York Times erklärt sie ihre Gefühle für erschöpft, nur daß sie zu einem Fehler noch ausreichten. Der ist einer, den kann sie nun wieder mit Naomi nicht bereden. Versöhnt hat sie sich mit Mr. Williams, dem Seelenberater für New Yorks Polizei; schwanger glaubt sie sich ganz gewiß. Sie schlief bis mittags, zuverlässig im Haus, doch geschützt in einem Büro, das nicht einmal unser Vizepräsident ohne Anmeldung betritt. Sehr lang hing sie über das dreisitzige Besuchersofa, vertrauensvoll mit dem Rücken zur Wand, krumme Hände über die Augen geklappt, ein großgewachsenes Kind.
Auf dem Weg zum Essen war sie Fremden nicht mehr entdeckbar, obwohl sie ihre Gesichtsmalerei an keinem Spiegel nachprüfen konnte als an Mrs. Cresspahls Augen; auch redete sie in ihrer hörbaren, trabenden Art, und die anderen Gäste in Gustafssons Imbiß-Stube durften die scharfe Wut in ihrer Stimme leicht für nachahmend halten, für geschickt übertrieben:
– Du siehst nicht fern, Gesine. Du kennst das Land nicht. Es gab hier mal ein Fernsehprogramm, sehr beliebt, Unglücksfälle, verstehst du. Vor der Kamera die Mutter des süßen kleinen Kindes, das seinen Arm im Abfallzerkleinerer verloren hat, der Vater eines blutkranken Sohnes, die Eltern von mißgebildetem Nachwuchs, alle durften sie alles erzählen, mit Fotos, und eingeladenes Publikum stimmte ab über die Krankheiten und Nöte, über den dritten, zweiten, ersten Preis. In das Studio führte eine offene Telefonleitung, darüber konnten die Zuschauer weiter draußen im Lande den Notleidenden eigenes Geld anbieten, oder einen Rollstuhl vom Dachboden, oder einen niegelnagelneuen Abfallzerkleinerer, do you have a pig at home at all!
sagte Amanda, Ein flotter Dampfer hätte sie in Berlin geheißen, sie nahm die erschreckten, sehnsüchtigen Blicke der Herren bei Gustafsson längst auf, durch die Haut oder durch die Schläfen, denn sie wandte das bitter freudige Gesicht nicht ab:
– Demnach müßte eine Serie viel Erfolg haben, die würde ich nennen Die Besten Begräbnisse, Copyright. Wöchentlich eine Stunde sollte genügen. Ihr Gastgeber: die hinreißende Amanda Williams. Da zeige ich die unterschiedlichen Riten, die katholischen, keine Ahnung, ach so doch, seit vorgestern. Die jüdischen Üblichkeiten, die episkopalischen, Voodooh nicht zu vergessen, die weißen Tränen, die schwarzen Tränen. Ist das kein Beitrag zur nationalen Erziehung? Wissen und Mitleid heißt das Motto, damit es zieht. Die Hinterbliebenen werd ich interviewen, die Leichen zeigen, eine Jury einsetzen für die Blumen-Arrangements. Die Leichenschauhäuser darf ich nicht vergessen. Es ist ein kalter Morgen im April, melancholisch tuckert unser Kutter durch scharfen Wind hinaus nach Potters Island, an Bord die schwere Fracht, die keiner will – was sagst du, in welchem Verhältnis steigen da die Einnahmen des Senders aus der Reklame? Was kann man nicht einbauen in solche Show! Grassamen, Unkrautvertilger, alle Kosmetika, Versicherungen, United States Stahl, Regenschirme sind keineswegs ausgeschlossen … was sagst du? Ein halbes Jahr! Dann wäre ich, die Erfinderin, reich. Kennen wir uns danach noch?
– Du denkst schon wieder ans Geld. Spiel doch lieber in der Lotterie.
– Tu ich ja, und meine Pressekonferenz mach ich im Hotel St. Moritz, auf der Terrasse. Zu dem Vertreter der Daily News werde ich sagen: Mit Ihnen spreche ich nicht, so daß die New York Post davon berichtet und die Times mir das Unternehmen seriös anstreicht. Woran soll ich jetzt denn denken, wenn nicht an Geld, Dschi-sain?
Noch den halben Weg nach Hause verbrachten wir zusammen, bis zu den Anzeigetafeln im Grand Central. Auf den Mattgläsern leuchtete wieder die Flasche, einem Penis nicht sehr unähnlich. – Die Frau gehört ins Bett, die Männer in die Werbung! sagte Amanda.
Geld für eine Abtreibung wollte sie nicht geliehen haben. Nicht von Mrs. Cresspahl. Mehr als Mrs.
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