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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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war seit dem Herbst 1942 im Lande, sie war weder mit feinem noch plattem Deutsch zu belügen; viele wollten es gerade ihr danken, wenn sie heil zurückkamen aus einem sowjetischen Verhör, gleichsam in erwiesener Unschuld. Dennoch war sie fremd, sie konnte gar niemanden bevorzugen als kranke Frauen, hungernde Kinder oder einen Flüchtling, der Kartoffeln gestohlen hatte aus Not nicht zum Handel. Sie half ihrem J. J. Jenudkidse, dem Dreifachen J, widerlich genau bei der Beaufsichtigung der gneezer Geschäftswelt, der gewaltige Johannes Knoop mußte seine Wagen hergeben für Holzfahrten, nichts da Export Import; in diesen gebildeten Kreisen galt ihre künftige Verwandtschaft von ehemals als moralischer Schaden aufbewahrt, weiterhin als Fallstrick, vorläufig nicht zu verwenden aus Rücksicht auf den guten Kompagnon Albert von Jerichow, da kam sie in Wutanfällen als Flittchen vor und, denk an, als Verräterin. Der Engel von Gneez lebte aber nicht im Kasernenviertel Barbarastraße (das mit einem übermannshohen Bretterzaun gegen die Deutschen abgepackt war), Slata ließ ihren Fedja bei Frau Witte, im beschlagnahmten Hotel Stadt Hamburg, da schlief sie im obersten Stock, der nach wie vor als Almas Privatwohnung hergerichtet war, hinter zwei Türen und der vom Entree obendrein. Manche Abende verbrachte sie unten, im früheren Speisesaal, zusammen mit Chargen der Kommandantur, auch Funktionären der deutschen Kommunisten, da verstand Slata wenig Deutsch, schon gar nicht die Sprechversuche eines jungen Kerls, der aus fünf Schritt Abstand mit spöttisch verwirrten Blicken an ihr hing, mit schwermütig betonter Miene, als sei er nicht der künftige Landrat von Gneez. Nein. Selbst Cresspahls Anträge, mit denen er K. A. Pontij überlisten wollte in einer höheren Instanz, liefen nicht rascher durch Slatas Schreibmaschine, obwohl der unter den Nazis ihr mehr Gespräch geboten hatte als die Tageszeit, so über eine Hilde Paepcke, die das Haar im Kopftuch trug wie sie, offenbar eine Person, die ihm auch gefiel. In den Augen einer Zwölfjährigen war der Landrat ein dummer Junge, aber so wie Slata hätte sie werden mögen.
    – Ich mag dich auf Fotos von damals, Gesine. Even if I say so myself.
    – Sie war doch blond, Marie. Es galt damals als hübsch. Sie war erwachsen; sie hatte meine Sorgen hinter sich: wie man den Busen hält, wie ein Mädchen Kinder kriegt. Sie war groß, fast in der schmächtigen Art, doch stattlich. Wenn sie den Arm ausstreckte, sich im Hocken bückte, ich mochte das gern sehen. Es waren so einig laufende Bewegungen. Sie hatte einen kleinen Mund, ganz üppig; ich war überkreuz mit der Sprache, weil sie mir »aufgeworfene« Lippen nachsagte. Slata nickte mit den Augen, wenn sie zuhörte. Auf der Straße ging sie an mir vorbei mit verschlossenem Gesicht, sie erkannte mich nicht gern; ich sah doch die Einladung zum Gegenblick, zu Übermut sogar. Mir war dann doch zumute, als hätten wir einander zugelächelt und gesagt: Du. Na, du? Du auch, du.
    – So eine wichtige Person. Die unterschlägst du mir.
    – Sie war dann verschwunden. Sie war weg aus meinem Leben. Als wieder einmal der Mittagszug nach Jerichow ausfiel, ging ich Frau Witte besuchen, in einer unberatenen Erinnerung an die Zeit meines Mittagstisches im Stadt Hamburg, dachte gar nicht an Slata, nur von Slata konnte Alma reden, wenn ihr auch die Kraft zur Verfertigung von Worten weggeblieben war. Sie zeigte nur umher in dem Zimmer, das sie Slata zum Schlafen abgetreten hatte, den Bewegungen ihres lahmen Fingers ging ich nach, dachte sie zu beruhigen, stellte einen Nachttisch wieder auf, kehrte Scherben auf dem Läufer zusammen, hängte Kleider auf, brachte Fedjas auseinandergerissenes Bett in Ordnung, war schon auf dem Sprung, wollte zu Fuß nach Jerichow laufen, Cresspahl warnen, mußte aber in Almas Küche, Wasser aufsetzen, Tee aus der Dose holen, auf der »Salz« stand, alles ihrem hilflosen Deuten und Pusten nach.
    – Es ist Slata irrtümlich zugestoßen, Gesine.
    – Es ist ihr plötzlich zugestoßen. J. J. J. war vor dem Hotel aufgefahren wie jeden Morgen, pfiff fröhlich an der Fassade hoch, nur daß er vier Bewaffnete mitgebracht hatte und sich die Wut mit Stampfen auf den Treppen erst noch beibringen mußte. So hatte er sich seit dem Abend davor verändert, sie aber nicht.
    – Ist sie geschlagen worden?
    – Weil sie sich gewehrt hat. Ihr Kind hatte Fieber und sollte noch liegen.
    – Sie war, wenn auch nicht vor dem Gesetz, die Frau

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