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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Bewußtseins, in die persönlichen Entschuldigungen, sei es Arbeit mit dem Entwicklungsdienst in Südamerika oder immer mal eine Demonstration gegen den Krieg vor Rathaus oder Pentagon, wir haben doch immer das Wort Frustration gehört, den Ekel an der leeren Aktion, die nicht Wirkung hatte als daß abgelassenes Gefühl nicht mehr störte. Unverhofft im März 1968 kamen sie wieder an, aus den noblen und aus den armen Schulen der Ostküste, aus Harvard, Radcliffe, Yale, Smith, Barnard, Columbia wie aus Dunbarton und Rivier, und fingen eine Kampagne an nach den Buchstaben der Regel für einen Senator Eugene McCarthy. Warum?
    52 Jahre alt, gebürtig aus dem Weiler Watkins in Minnesota, einer von 744 Bürgern. Deshalb? Weil er irische Vorfahren hat wie Kennedy, katholisch ist wie Kennedy, dennoch in beidem zuverlässiger? er soll es selbst gesagt haben. Gut, sie geben nichts mehr auf die Furcht, der Papst könne über eines seiner Kinder die U. S. A. regieren, sie denken da ähnlich wie Stalin, wenn auch nicht gleich in Divisionen; jenes Vorurteil ist aber so kräftig im Land, sogar wir haben davon gehört. Was gefällt ihnen noch? daß er in sechs Jahren statt acht durch die Schulen witschte, mit Einsen in Allem außer Trigonometrie, ein Held auf den Spielfeldern von Baseball und Hockey? Es verhilft zu Ansehen hierorts. Ja. Er war einer der Wenigen, die sich im Radio anlegten mit dem anderen McCarthy, dem Kommunistenschnüffler, sie mögen es ihm anrechnen als Tapferkeit. Aber fünf Regierungsperioden für die Demokraten im Senat, und kein Gesetz, das seinen Namen trüge. Weil er den Spitznamen zu eigen nahm, der ihm angehängt werden sollte, den Maverick, das Tier, das abseits der Herde läuft, den Einzelgänger? Aber half er seiner Partei im Jahre 1960, als er einen Adlai Stevenson ohne Aussichten vorschlug, nur weil er Lyndon Johnson nicht mochte und bei den Kennedys nichts sah als Verschwenderei und rücksichtsloses Durchgreifen? 1964 ging er doch mit L. B. J. zum Brunnen in der Hoffnung auf die Vizepräsidentschaft, und wurde kräftig untergetunkt zum Lohn. Weil er als einer der ersten Senatoren auftrat für eine Milderung des Krieges gegen die Leute in Viet Nam? er hat stillgehalten bis zum Januar 1966. Nun gut, er ist in einer ungefähren Art gegen den Krieg. Er hat sich mit L. B. Johnson angelegt in allem, ob es die Krise der Städte war oder die Landwirtschaft. Das beides tat Robert Kennedy auch. Ist es bei McCarthy mehr?
    Warum wollen wir die Studenten für McCarthy verstehen? weil wir dann heimlich zu ihnen gehörten, nicht nur in der Meinung, auch im Alter?
    Sie sind erst zu ihm gekommen, als er lange genug Reden gehalten hatte in einem trockenen Ton, dem eines Professors, ohne Tricks und Anrufungen des Gefühls. Vielleicht kamen sie erst einmal als Studenten, dann weil sie ihm glaubten. Es mag ihnen recht gewesen sein, daß hier einer harte Arbeit verlangte und keinen Zirkus bot. Warum aber stellen sie seine Strenge, Nüchternheit und enthaltsames Wesen nun noch selber dar, sperren die unentwegt Bärtigen in die Hinterzimmer zum Kuvertieren oder Markenlecken und zeigen auf der Straße den Wählern Midiröcke statt der Minis, opfern den Mannesschmuck und kommen naß rasiert, verzichten auf die Einbildung von Eigenart und klingeln an den Türen Bankbeamten gleich, mit Jacke und Schlips? Und die Presse kann melden, daß die Jungen in Turnhallen übernachten, die Mädchen in privaten Quartieren, züchtig getrennt. McCarthy gefällt es, den Bürgern gefällt es, nur sind es Zucht und Gesittung alter Zeiten, und wird das bloß vorgetäuschte Bild nicht eines Tages doch die Wirklichkeit von law and order werden?
    Auch Eugene McCarthy zieht seine Familie mit in den Wahlkampf, Frau Abigail und Ellen Mary Michael Margaret, zu rührenden Auftritten und intimen Auskünften, die zwölfjährige Margaret, siebente Klasse, als seine »Geheimwaffe«; geniert es die Studenten nicht? Fällt ihnen nichts auf an des Landes Brauch? Darf es uns genieren?
    Ziehen sie mit ihm, weil jetzt Erfolg seine Gesellschaft ist? John Kenneth Galbraith, Professor für Wirtschaft in Harvard, hat seine ganzen Americans for Democratic Action rumgebracht zu McCarthy. Der Dichter Robert Lowell sagte ihm zuliebe von den Republikanern, sie könnten nicht untergehen, und sie würden nicht schwimmen, was immer es heißt; McCarthy verfaßt selber Gedichte. Und es kam der Schauspieler Paul Newman, der nämliche, der breitknochige Riese mit dem Gemüt

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