Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
voll Anstands, der in den neueren Filmen den edlen Detektiv macht ohne Eigennutz und den Anwalt der Indianer, der die Tasche mit ihrem Geld beschützt, bis er dennoch fällt, den schweren Kopf mit dem blonden Haar zur Seite kippt, aus. Ist es solche Gesellschaft? Und sie haben gewonnen im März in New Hampshire, 42,2 Prozent der demokratischen Stimmen gegen L. B. J.s 49,4,
hey, hey, L.-B.-Jay!
How many kids did you kill today?
und bei 10 Prozent hatten die Studenten das Land verlassen wollen, bei 20 ihre Einberufungskarten verbrennen, bei 30 zurückgehen auf die Schule, bei über 40 aber mitkommen zur nächsten Vorwahl in Wisconsin, und welche sind noch bei ihm gewesen gestern in Indiana, jetzt aber im Einsatz gegen Robert Kennedy, dem sie früher einmal halfen. Wegen Kennedy, womöglich.
Robert Francis Kennedy, Demokratischer Senator von New York, noch am 30. Januar hat er sich hingestellt und Freunden wie Helfern versprochen, er wird nicht gegen Johnson kandidieren, »unter keinen vorhersehbaren Umständen«, wiederhole keinen. Der Einheit der Partei zuliebe. Sah zu und ließ McCarthy durch die Staaten voranziehen als den einzigen Gegner des Krieges in Viet Nam, und half ihm nicht, Mangel an Rücksicht, Mangel an Mumm. Dann sah er in New Hampshire die Menge der Leute, die den Präsidenten satt hatten, und Robert Francis war nicht dabei. Wie drehte er sich aus seinem Wort? er machte dem Präsidenten den Vorschlag, er möge sich in Sachen Viet Nam entmündigen; der Präsident lehnte ab; am nächsten Tag stellte sich Kennedy an gegen den Präsidenten, »ohne persönliche Feindschaft oder Mangel an Respekt gegen den Präsidenten«, so sagte er. Stellte sich hin im Sitzungssaal des alten Senatsgebäudes auf dem Kapitolshügel, wo vor acht Jahren sein Bruder John seine Kandidatur bekannt gab, in der Krawatte trug er die Nachbildung jenes Patrouillenbootes P. T. 109, dessen Kommandant sein Bruder John im Zweiten Weltkrieg in verfilmten Ehren gewesen war, er benutzte die Worte seines Bruders John, mit Frau Ethel und neun Kindern und als Bruder Johns trat er an, Eugene McCarthy die Stimmen wegzunehmen, für die er nichts getan hatte, wie ein hungriger Hund, der den Knochen eines anderen sein legitimes Erbe nennt. Paul Newman grummelte über die Schande, daß Kennedy sich tragen lassen wollte auf dem Rücken eines anderen, andere nannten ihn eine Gefahr für das neue Vertrauen der Jugend in die Demokratie, einen Landräuber, und ein Student für McCarthy fand: Habichte sind schlimm genug, feige Küken brauchen wir nicht; schließlich wurde Kennedy verglichen mit dem Kuhvogel, der dem weidenden Vieh die Schmarotzer abliest und seine Eier gern in fremde Nester legt. Unbekümmert, drei Stunden und zwanzig Minuten nach seinem Griff zur Maschine der Wahl, marschierte Kennedy in New York, mit einer grünen Blume im Knopfloch als Ire unter den Iren in der Parade zum Tag des Hl. Patrick, am Nachmittag erklärte er sich in Boston (»weil Amerika es besser kann«), am nächsten Tag in Kansas; eine Wahl zwischen McCarthy und ihm wäre eine für die Fairneß oder gegen faule Tricks. Wären wir also für McCarthy, und warum genau?
Er hat nicht gesagt, was er anfangen will mit den Truppen in Viet Nam. Womöglich wird er in Landwirtschaft und Finanzen und Wohnungsbau etwas anderes machen als sein Vorgänger, der nun nicht mehr will; wird er sich nicht einrichten müssen mit den Vierhundert Familien und allem, was sie brauchen an Geld und Herrschaft und noch mehr Geld? Wozu da diesen wählen, an Stelle eines anderen? Wozu wählen in diesem Land?
Wir hätten da eine Frage wegen persönlichen Ergehens. Vor vierzehn Tagen hat McCarthy der amtierenden Regierung vorgehalten, nicht die militärische Macht der U. S. A., sondern der Dollar sei wichtiger für die Stabilität der Welt. Wir haben da einen Chef, de Rosny hat seins verstehen können; für uns war es nicht deutlich genug. Werden wir unsere Arbeit behalten? Und wenn sie uns behält, wohin wird sie uns schicken?
Was also fangen wir an mit dem jungen Mann, der abends um acht bei uns klingelt, ein Klammerbrett vor der Brust und die Frage, ob wir ein eingeschriebenes Mitglied der Demokratischen Partei sind, und ob er uns auch ohne dies etwas erzählen dürfe von McCarthy? Werden wir ihn verstehen?
9. Mai, 1968 Donnerstag
ist der Tag des Unterrichts in tschechischer Sprache, und pünktlich um zwei Uhr drückt Professor Kreslil sich in das Cresspahlsche Büro, zieht die Tür hinter
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