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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Niemand mit ihm gesprochen, und um ein Haar hätte er es verpaßt. Und da denkt man immer, die deutschen Väter seien Diktatoren, Tyrannen doch wohl, und ich als ein amerikanischer muß einem französischen Kind sagen: Was Ihre Aufgabe ist, Folgendes. Sie bilden sich aus …
    – Marx wird dem wohl nicht mehr helfen, Mr. de Rosny.
    – Jetzt hab ich schon wieder vergessen, daß Sie einen deutschen Vater haben. Können Sie mir verzeihen, Mrs. Cresspahl?
    – Nein. Niemals.
    – Sie sind richtig, young lady. Wenn alle so wären, die für mich arbeiten. Wären sie doch alle so.
    7. Mai, 1968 Dienstag
    Was also hat Alexander Dubček mitgebracht vom Zentralen Besetzungsbüro in Moskau? »Verständnis« für die Einführung der Demokratie in seinem Lande, »volle Beachtung der wechselseitigen Rechte« und fast schon den harten Kredit aus der führenden Kasse. Er sei glücklich gewesen, den sowjetischen Genossen seinen Sozialismus erklären zu können.
    Und die Stadt Köln bekommt das Bild von Cranach zurück, das sie der Tochter Hermann Görings zur Taufe schenken mußte im Jahre 1938. Edda G. wünschte es schon nicht mehr für den eigenen Besitz, sie hätte es dem Freistaat Bayern gestiftet, aber nun will auch Bayern seine Ansprüche aufgeben.
    In den Augen von Jerichow geschah es Papenbrock fast billig, daß die Sowjets ihn abholten. Nicht recht zwar, jedoch billig nach allem, was Albert an Görings Luftwaffe verdient hatte. Nun sollte der ehemalige Wirtschaftskönig also Steuern nachzahlen.
    So sah es aus. Mit einem Zweitonner waren die Sieger eines Sonntagabends Mitte Juli aufgefahren an der Marktecke, K. A. Pontij ließ sich nicht blicken, so ließ es sich an wie eine Amtshandlung seiner Vorgesetzten. Zu dritt schritten sie ins Haus, alle Offiziere, zwar nicht mit gezogenen Waffen, aber doch wie ein Verhaftungskommando. Wenn sie sich eine halbe Stunde innen aufhielten, so wollten sie gewiß Alberts Comptoir durchsuchen nach seinen irdischen Gewinnen, und ihr stilles Vorgehen dabei machte den Überfall nur gefährlicher, auch die Erinnerung, daß Albert ja nicht der Einzige war, dem die Sowjets seine Freundschaft mit Görings Luftwaffe übelnehmen konnten. Eine Einzige schickte nach Cresspahl, Bergie Quade, aber ihr Otto war viel eher zurück in der Stadtstraße als der Bürgermeister, der so langsam gegangen kam, als könne er bei solcher Verwandtschaft erst recht nicht helfen. Da wurde Papenbrock schon aus seinem Haus geführt, in einem Arbeitshemd und abgewetzten Alltagshosen, krumm hielt er sich, den Blick gegen den Boden, die Arme hingen ihm leer. Das wurde oftmals erzählt: wie der Alte über die Klappe aufzusteigen versuchte, abrutschte, abermals einen lahmen Fuß ansetzte, wieder nach unten schrammte, diesmal hart gegen das Schienbein, und wie die Offiziere ihm dabei zugesehen hatten, als sei er ein krankes Tier, dem zu helfen nicht lohnt. Dann kam Louise aus dem Haus gelaufen, heulend, mit einer fetten Reisetasche in wildem Schwung, als wolle sie sich oder einen der Abholer verletzen. Endlich gab einer der Offiziere Papenbrock einen sanften Schubs, nicht eben als wolle er ihn beschädigen, Albert stolperte haltlos auf die Ladefläche, die Offiziere stiegen hinterher und riegelten die Klappe zu, der Wagen wendete und fuhr richtig zurück nach Süden, vielleicht in das schweriner Hauptquartier, womöglich noch zu einem größeren Gefängnis. Zwar hatten sie Louise die Tasche abgenommen, aber nicht ihrem Mann wurde die ausgehändigt, sondern dem Chauffeur, und mochte Albert noch ein wenig leben sollen unter Aufsicht, nach seinem Zurückkommen sah es nicht aus.
    Viel Zuschauer hatten da nicht gestanden, deswegen gerieten die Erzählungen nicht unvollständig. Sie hatten einen gehörigen Abstand gehalten, damit sie nicht aus Versehen mit Albert verreisten, es wollte doch jeder einen Schauder gespürt haben, als die immer noch massige Louise zweimal an der klemmenden Tür riß, mit beiden Händen, offenbar geschwächt vom Weinen, bis sie sie im Rahmen hatte und von innen abschloß. So wurde den Zeugen das fällige Beileidsagen erspart, nur waren sie im Zurücktreten und Umwenden dicht an Cresspahl geraten, den sie den Russenknecht nannten und den Volksverräter. So nah ins Gesicht mochte ihm keiner sagen, daß er nun auch noch seinen Schwiegervater nicht gerettet hatte, und sie fühlten sich verhakt in seinem stillen, auffordernden Blick. Cresspahl hatte seinen Spaß gehabt an der Flucht der Sowjets vor Louises

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