Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
sich zu mit Sorgfalt und beginnt erst dann ein mehr unbefangenes Benehmen. Vielleicht ist ihm der lange Weg durch das hochfahrende Gebäude nicht geheuer, an den Portiers vorbei, neben unzählig Fremden, es mag ihn doch die opulente Ausstattung dieses sechzehnten Stockwerks verschüchtern, und erst heute fällt der Cresspahl ein, daß sie den alten Herrn jeweils auf dem Bürgersteig erwarten und hierher eskortieren sollte. Aber sich entschuldigen und es ankündigen darf sie nicht, er wird die Hilfe unweigerlich sich verbitten, und wünschte sie doch. Čeština je těžká.
Begrüßung, Abschied, Erkundigung nach dem Ergehen, das läuft alles längst in der fremden Sprache, der Unterricht ist aufgelöst in Gespräche, nur daß der kleine Vorrat an Gemeinsamem rasch aufgebraucht ist, und über dies ist von der gemeinsamen Bekannten Mrs. Ferwalter nur der Gruß zu besprechen, nicht etwa woher sie ihre Beschwerden hat. Dann muß die Unterhaltung umgebaut werden auf Anlässe, die von der Person wegführen, meist Geschichten aus der Times vom Tage, und nicht nur das Lehrverhältnis stellt sich ein, auch die Trennung des Paars in einen tschechischen Juden und eine Deutsche, von deutschen Eltern; dies würde Herr Kreslil abstreiten in seiner unerbittlichen Höflichkeit, würde es je auszusprechen sein. Die Aufgabe ist also das freie Nacherzählen. Nur, neuerdings hört Herr Kreslil nicht mehr gern Neuigkeiten aus Prag, seit darin das polizeiliche Durchfegen des Landes in den fünfziger Jahren vorkommen kann, oder andere Kooperationen mit der U. d. S. S. R., wir dürfen nach diesem Teil seines Lebenslaufs nicht noch fragen.
Trumans 84. Geburtstag gibt nicht viel her. Die Straßenkämpfe der pariser Studenten mit der Polizei sehen von hier nicht deutlich aus. Die Berichte aus dem Chinesenviertel von Saigon haben wir fast vergessen, als seien die Nachrichten vom Krieg nicht jeden Tag neu. Die Rate der schwarzhäutigen Arbeitslosen um mehr als das Doppelte höher als die der rosanen, auch das eine Wiederholung. Eine Anzeige auf Seite 1 sucht einen berufsmäßigen Bankräuber für Beratung bei einem Film, rufen Sie CI rcle 5-6000 an, Apparat 514. Im Prinzip ja. Nein.
Nehmen wir also die Umfrage, die die Times hat veranstalten lassen über die Unruhen an der Columbia-University. Es geben demnach 55 von 100 Erwachsenen in Greater New York den Studenten die Schuld. Noch mehr sind es in den Vorstädten, unter denen über 40 Jahre alt und jenen, die nie eine Universität besucht haben. Von hundert immer dreiundachtzig finden den Einsatz der Polizei gerechtfertigt, achtundfünfzig haben da genau das richtige Maß an Gewalt befunden. Es ist eine schwierige Erzählung, es sind Zahlen darin noch und noch, groß ist die Versuchung von Wendungen im Duplikat, schon kommen die ersten Stockungen. Sie sind es auch, die den Spaß verderben an dem fast fehlerlosen Satz: Die Befragten sind nicht nach Schwarzen und Weißen aufgeschlüsselt, denn das beauftragte Institut hält sie mittlerweile alle für weiß. »Schlicht wegen des ökonomischen Faktors, sich ein Telefon zu halten.«
Der Satz hätte ohnehin keine Belohnung verdient. Zu spät wird der Schülerin bewußt, daß Herr Professor Kreslil ein Telefon sich nicht leisten kann, aus ökonomischen Gründen, und weil er leben muß in einem Teil der Stadt, wo das Telefon in der eigenen Wohnung öfter ein Werkzeug der Einbrecher ist. Ještě dělám chyby, pane Kreslil.
– To nevadí. Ano, mluvíte poněkud pomalu: sagt der alte Herr, dem vor den Tadel erst einmal die sanfte Behandlung des Weiblichen geht, und wieder sieht er die Cresspahl an in einer fürsorglichen wie ratlosen Art, als wolle er ihr das Tschechische schon in Mund und Gehirn bringen und verstehe doch nicht, wie er mit ihr in dies Zimmer kam, und was sie daraus machen will. Dann sind wir auch nicht sicher. Er hält seinen gelblichen Schädel aufmerksam still, er läßt seinem blanken Gesicht nichts anmerken; ihm kann nicht wohl sein dabei, wie wir umhertreten in seiner Sprache. Das kann man nicht wettmachen mit wiederholtem Dank für seine Mühe, nicht einmal mit Begleitung aus dem Haus auf die Straße, es ist einer von den mißlungenen Tagen.
Es war eine Warnung, aber die Cresspahl will noch eine Probe darauf. Sie gibt sich sofort frei, in diesem Moment auf der Lexington Avenue, sie meldet sich nicht einmal ab bei Mrs. Lazar, sie kann das Versäumnis ausgeben für dienstlich. Im Baronet soll ein tschechischer Film laufen,
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