Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Volkes, mit dem Kriege werde das Leben vorbei sein, und von der Erleichterung des deutschen Volkes, als es nicht vorbei war. Cresspahl sah Schenks Hampelei geniert zu; dergleichen Sprüche mochten angehen, wenn jemand wie Wulff sie tat. Wulff kam solch Zeug nicht über die Lippen. Pontij war bloß enttäuscht darüber, daß sein Polizeichef sich das Reden zurechtgelegt hatte; er nannte ihn Du Vorbild, Du Vorangehen und Du Kommunist werden, er setzte die Mütze auf und erhob sich, er schwor ihn ein. Cresspahl wußte immer noch nicht, was Schenk sich versprach von solchem Posten. Und Schenk hatte sich auf eine Erkundigung nach der Sozialdemokratie so geschüttelt vor Ekel, am Ende wollte Pontij den benutzen für die Gründung der K. P. D. Jerichow. Abermals mißtraute Cresspahl eher sich selber. Wenn Schenk so die Nazis gehaßt hatte, wie er da rief, mochte ihm eben so gewesen sein, und Jerichow hatte es nur nicht sehen können.
Als Untergebenen bestellte Schenk sich Knewer, Berthold Knewer, ehemals Obersekretär bei der Post, in unermüdlichem Zank mit dem Amtsleiter zurückgedrängt in den Schalterdienst, schließlich in den Rang des Zustellers. Cresspahl war er recht gewesen. Es war Knewers Sache, daß er unter den Sowjets nicht an eine Fortführung des Postbetriebs glauben mochte, und er dachte sich den alten Herrn als einen Aufpasser für Schenk. Knewer war nicht nur mit der amtlichen Waage penibel gewesen bis aufs Gramm, auch in der Kleidung, mochte sie geflickt sein, und nach Frau Knewer wollten die Kaufleute ehemals die Uhr stellen, so streng war von ihr Pünktlichkeit beim Kochen verlangt. Wenn Cresspahl recht hatte mit seinem Verdacht, mochte Knewer ihn aus der Welt schaffen und Schenk auf die Finger sehen, finster, abwartend gesträubt, ganz nach seinem Spitznamen Stummer Papagei. Cresspahl gab also auch diesem und einem Mann aus Ostpreußen, Friedrich Gantlik, eine nackte Wehrmachtsuniform und drückte allen auf die weiße Armbinde unter das aufgemalte POLIZEI den Stempel der Stadt Jerichow, dem die Mitte mit einem Taschenmesser herausgeschnitten war.
Sie hatten ihren Dienst begonnen am 4. Juli, und gleich auf den ersten Gang nahmen sie die Karabiner 98k nicht mit, deren Mitführen ihnen befohlen war. Pontij wollte seinem Cresspahl wohl beweisen, daß er es ernst meinte mit der Ritterlichkeit der Roten Armee gegen Frauen, und sollte je ein schwarzes Schaf zu finden sein, so war es von der deutschen Polizei mit der Waffe zu stellen. Das kam Cresspahls Polizisten zu grausig vor. Er wollte es Gantlik nicht verdenken, daß er sich drücken wollte vor einem Schußwechsel mit Rotarmisten, Gantlik hatte den Posten bei der Stadt eher angenommen, sich ein Bürgerrecht hier zu verdienen, er war kleinwüchsig, zwar zäh, ein Bauer ohne Land, und vielleicht hatte die weite Reise von der Memel bis Jerichow ihm ein unbedenkliches Auftreten ausgetrieben. Cresspahl schickte die drei zu Pontij, zur Nachprüfung ihrer Schießkenntnisse, mit guten Zeugnissen kamen sie zurück, auch heftig verwarnt durch den Herrn Stadtkommandanten, der die fahrlässige Verletzung eines Rotarmisten unverzeihlich genannt hatte. Schenk sah seinen Bürgermeister blank an, die schwellenden Lippen verkniffen. Cresspahl störte ihm die Schadenfreude, indem er die Männlichkeit seiner Männer anrief. Es kam danach vor, daß sie bewaffnet Dienst taten. Aber als die große Plünderei bei Karstadt im Gang war, die halbe Stadtstraße überlaufen mit Leuten, überstreut mit Stoffballen und Küchengeräten, hüpfte die Polizei an den Rändern des aufgeregten Menschenhaufens umher, fast ebenso verwirrt, Hühnern gleich, und konnte nicht einmal in die Luft schießen. In die Luft schoß Schenk, als Hanna Ohlerich vor ihm weglief aus einem Kirschbaum, in den Amalie Creutz sie ernstlich eingeladen hatte. Die Polizisten nahmen ihre Waffen mit, waren sie zu einer Streitigkeit unter Deutschen gerufen; war ein sowjetischer Überfall gemeldet, marschierten sie lahm vom Rathaus ab, schon um nicht rechtzeitig zu kommen, die Karabiner auf der Schulter statt in der Hand, und Fräulein Senkpiel kam sich beschweren, daß man ausgerechnet ihr die Schießeisen in den Laden stelle, nur für eine Viertelstunde, und mitunter seien sie abends noch nicht abgeholt gewesen. Also fehlte es den Erntekommandos an Schutz, dem Herrn Stadtkommandanten waren wenige Verstöße gegen die sowjetische Ritterlichkeit nachzuweisen, und zwei Armisten mit ihrem Anhang konnten acht Personen aus
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