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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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dicht am Hafen Wismar vorbei. Da waren schon Kutter von auswärts beschlagnahmt worden. Ne, Herr Kliefoth, und nichts für ungut einstweilen.
    Als Kliefoth beim Vorstand der Genossenschaft ankam, war ihm eingefallen, daß er ja den Karren mit den Gummirädern zu bieten hatte.
    Ilse Grossjohann ließ ihn erst einmal zu Ende beweisen, daß eine aus Kirchdorf auf Poel Geborene auch beerdigt werden müsse auf dem Friedhof von Kirchdorf auf Poel. Sie gab ihm in allem recht. Dann bot sie ihm einen Grabplatz in Rande an, sie konnte das, sie war seit Mai die Vorsteherin der Gemeinde.
    Sie war die Bürgermeisterin, sie fand doch keinen Mann, der Kliefoth beim Graben helfen konnte; seit sie das Beerdigen der Wasserleichen vom schwimmenden Konzentrationslager Arcona als Arbeitseinheit führte, war Unfrieden in der Genossenschaft. Es war zwei Uhr nachmittags, als sie das Loch ausgehoben hatten. Die Frau und der Junge waren bedenklich, ob sie den Sarg ebenmäßig würden absenken können, also ging Kliefoth voran in das Loch. Er fing das Fußende ab, stützte seinen Rücken langsam unter der Bodenfläche voran. Er mußte den Sarg doch schräg kippen, wollte er darunter hervorkommen. Dann zogen die Frau und der Junge ihn am Strick nach oben, weil er nicht auf das Gehäuse treten wollte. Als das Loch zugewühlt war, ging Frau Grossjohann allein weg; Kliefoth ließ sich nicht bereden. Wenn er nicht essen wollte, ihre Kinder brauchten etwas zu Mittag. Nach einer Weile ging auch der Junge vom rander Friefhof. Vom Tor aus war Kliefoth wieder nicht zu sehen, in seinem Sommeranzug zwischen den hellen Hecken.
    Abends war auch Kliefoth zurück in Jerichow. Er hatte keine Schlüssel bei sich, sonst hätten die Flüchtlinge ihm aufgemacht. Jetzt waren nicht sie da, sondern zwei Rotarmisten mit ihren Familien. Kliefoth ging so vergeßlich weiter in seine Wohnung, einer hielt ihm seine Maschinenpistole quer vor die Brust. Kliefoth war inzwischen eingefallen, daß die Frau ja nicht in der Wohnung war, und ging fügsam zurück auf den Treppenabsatz.
    Auf der Straße fiel ihm ein Trümmerhaufen auf, den er vorhin übersehen hatte. Das waren die Sachen, die die Besatzer nicht hatten brauchen können in ihrer Wohnung, das fast vollständige Jahrbuch des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, die Schriften des Heimatbundes Mecklenburg, die Gesetzessammlungen aus dem siebzehnten Jahrhundert, die Dichtungen des Mittelalters, die Merianstiche, die Landkarten von Homann und Lauremberg, das Zinn. Die Kupferstiche und Landkarten waren beim Aufprall vom Glas zerstochen; die Zinnteller hatten die Nachbarn eingesammelt. Aber sie kamen nicht aus ihren Häusern, ihm das Gerettete zurückzugeben, sie halfen ihm nicht beim Einsammeln der Trümmer, sie ließen ihn da allein hocken in der zunehmenden Dunkelheit, kurz vor der Sperrstunde.
    Er fand noch das Mecklenburgische Kirchengesangbuch aus der Familie seiner Frau, gedruckt zu Schwerin im Jahre 1791 mit Herzogl. gnädigstem Special-Privilegio. Das Exemplar feinen Drucks kostet ungebunden mit Evangelien und Episteln 14 Schillinge Courant. Das Kirchdorfer Exemplar war ein gebundenes, in schwarzem blanken Leder, und die Silberschilde im Verein mit den Eckbeschlägen hatten das Buch vor Verletzungen geschützt. Nur die Schließen waren aufgeplatzt. Das Schild auf dem vorderen Deckel zeigte die Initialen von J. L. mit der Jahreszahl 1791, auf dem hinteren war dessen Handwerkszeug eingraviert, ein Zirkel, ein Winkel, ein Halbkreis mit Gradeinteilung. Auf den hinteren Seiten hatten die Vorfahren der Frau über einander Buch geführt. »Mein Sohn Friederich Gottsch. Johann ist gebohrn den 3. April und Getauft den 19. Aprill Anno 1794.« »Vater ist gestorben, den 29. August, Morgen 7 Uhr 1834, Begraben 3. September.« Jetzt mußte Kliefoth noch eine Zeile auf die letzte Seite setzen, und er konnte beweisen, daß die Frau nach Kirchdorf gehört hatte. Und wenigstens hatte er sie ein Stück näher dahin gebracht.
    In so einem heißen Sommer, Fräulein Cresspahl. Kommt Ein auf wilde Gedanken.
    Ich hätt es auch gemacht, Herr Dr. Kliefoth.
    Es war ein Einfall.
    Sie haben sie doch 1950 überführt nach Kirchdorf, Herr Kliefoth.
    Sehen Sie! Anders hätt ich es doch vergessen!
    Warum muß ich immer denken »Apfel«?
    Das ist so, Fräulein Cresspahl. Sie sah nicht tot aus. Als ich vom Feld kam, lag sie da wie lebendig.
    Warum haben Sie nicht Hilfe von Cresspahl genommen. Wir wären doch gekommen.
    Ihr

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