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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ansässig in Jerichow, geachtet wenn nicht angesehen bei den Bürgern, besonnen, nicht bestechlich, und Peter Wulff hatte den Posten von sich gewiesen. Cresspahl hatte diesen Freund abgepaßt zwei Tage nach dem Krieg, sechseinhalb Jahre nach dem von der Sozialdemokratie verordneten Streit, sie hatten einander erzählt, wer denn jeden März die Blumen auf das Grab von Friedrich Laabs geschmuggelt habe, zum unheiligen Andenken an den Putsch von Kapp, und wer denn im Versteck zusah, als nächtens der Fahnenmast vor dem Quartier der Nazipartei umgesägt wurde. Seine Sache mit den Briten erwähnte Cresspahl nicht, über Lisbeths Tod ließ sich nicht sprechen. Mit der S. P. D. waren sie immerhin so weit, daß sie der Partei solche Personalpolitik in stillschweigendem Einvernehmen nicht nachsehen wollten. Es war genug übrig, beide begingen gerne den Feierabend gemeinsam, bald nicht mehr nur den früheren Zeiten zuliebe, auch verbündet in der Absicht, das verrutschte Jerichow auf anderen Kurs zu kriegen. Wulff war es recht, daß die Briten den anderen zum Bürgermeister gemacht hatten, unter den Sowjets war er ihm weiterhin behilflich mit Spaß und Ratschlägen, ihm den Rücken decken als Polizei wollte er nicht. Lieber ging Wulff zur morgendlichen Arbeitseinteilung auf den Schulhof, schleppte Kornsäcke oder half die Löcher graben für K. A. Pontijs Zaun, als daß er den Jerichowern in die Keller oder aufs Dach stieg. Er sah, daß Cresspahl nicht loskam von der Arbeit für die Sowjets, er wollte mit denen nicht erst anfangen. Er schlug Fritz Schenk vor.
    Pontij und Jerichow verlangten etwas Männliches.
    Da hätte Cresspahl lieber Bergie Quade zur Seite gehabt.
    Der Krieg hatte wenige Männer zurückgelassen unter den Einheimischen von Jerichow, Fritz Schenk war einer von ihnen. Von 1939 an hatte er unermüdlich mit Attesten, Eingaben, Zeugnissen seine Person vor der Einziehung bewahrt, und damit die Frauen ihn nicht schräg ansahen, hatte er in der Stadt ausführlich die Beschwerden seines Unterleibes geschildert, auch ohne Befragen. Um den Posten eines Schriftführers und Urkundsbeamten war er seit 1928 in der Sozialdemokratischen Partei, zu seiner Befriedigung ausgeschlossen im Dezember 1932 wegen auffälliger Äußerungen über das Weichen einer Reichsregierung vor der Gewalt, nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums bestätigt, mit dem Maul voran für seinen geliebten Führer
und
Reichskanzler, geziert bei Einladungen zur Mitgliedschaft in dessen Partei, seit dem 2. Februar 1943 taub dagegen und bis zur Gesamt-Kapitulation als nicht kriegsverwendungsfähig eingeschrieben, Cresspahl wollte es für geschickte Politik ansehen, er entsann sich eines zu markigen Glückwunsches bei der Anmeldung eines Kindes im März 1933. Er traute seiner Abneigung gegen den Kerl nicht, er sagte für ihn gut bei Pontij. Womöglich störte ihn an Fritz Schenk die Stubenhockerfarbe, die schmale lange Latte Mensch, das glatte Gehabe, die für einen Fünfziger zu vollen Lippen, verkniffen in Empfindungen des Sieges. Schenk hieß er; Suhrbier hätte auf ihn gepaßt. Und Peter Wulff empfahl diesen eher, damit er sich reinritt, von der eigenen Unschuld zu schweigen. Cresspahl suchte nach anderen. Einen Flüchtling konnte er nicht nehmen, die kannten sich nicht aus mit den Tüschen und Hintertüren der Stadt. Er war nicht zufrieden, er mußte auch noch den Schreibkram von Wohnungsamt und Urkundswesen an seinen Schreibtisch ziehen, als er Schenk zum Polizeichef von Jerichow ernannte. Schenk nahm es als Kränkung, und Cresspahl begriff Wulffs Einfall. Eben noch Sachbearbeiter und Sekretär, nun hatte Schenk als andere Wahl das Zuschütten von Schlaglöchern oder Handlangerdienste bei Bienmüller. Schenk zog die Anstellung bei der Behörde vor und sprach wie vor zwölf Jahren von den Opfern für die Neue Zeit. – Für die Akten stehe ich bis zum heutigen Tage ein! sagte er. Cresspahl erkannte die freudige Erwartung, der Tischler als Bürgermeister werde sich nun endlich in Unordnung reiten, weil er nicht bei seinen Leisten geblieben war. – Sie sind der Dienstherr! rief er aus, ergriffen von Gehorsam, stand gerade, damit er ja nicht geradestehen mußte für seine Aufträge.
    Bei der Vereidigung fragte Pontij lockend, spielerisch: Du Faschiist? Schenk kannte die private Vergnügenssucht des Herrn Stadtkommandanten nicht und wies einen solchen Verdacht schwer atmend von sich. Er sprach von der Empfindung des deutschen

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