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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ihm versprochen, über die Oder zu gehen, noch über die Elbe, aber damit er sie finden konnte. Das war erst fünf Monate her. Herr von Bonin fuhr mit neun schweren Planwagen ab, als der Kreisleiter von Wollin das Absetzen nach Westen mit der Todesstrafe bedrohte, für die Frau des verschollenen Inspektors blieb ein offener Kartoffelkarren, ein zu altes Pferd und die Anweisung, das Gut zu bewachen. Als der Kreisleiter die Evakuierung nach Westen befahl, war sie längst herunter von der Insel. Bei Augustwalde geriet sie auf die Autobahn nach Berlin und unter die Angriffe sowjetischer Tiefflieger. Jakob war mehr erschrocken als sie, sie hatte das Blut aus seiner Halswunde im Gesicht. Als sie die Toten beiseite gelegt hatten, war ein Pferd übrig, der Fuchs. Sie hatte den Jungen ins Krankenhaus von Podejuch bringen wollen, er willigte in den Aufenthalt nicht ein, nun sie zweispännig fahren konnten. Von da an hatte wohl er geführt. Über Neubrandenburg und Malchow hielt er die Richtung auf die griese Gegend, von der Eldemündung an wurden sie immer mehr nach Norden gedrängt, so kleine Straßen sie auch nehmen mochten, bis nach Wismar, und nach Jerichow waren sie gekommen, weil die Straße an der See entlang so leer gewesen war und sicher schien vor den Streifen von Wehrmacht und Partei. Sie war geblieben, weil sie zum ersten Mal eingeladen wurden, weil Jakob erst einmal den Krieg abwarten wollte, dann wegen der britischen Besetzung der Stadt, wegen der beiden kranken Kinder in Cresspahls Haus, dann um die Wiederkehr der Briten abzuwarten. Aber in Jerichow konnte der Mann sie nicht finden. Er hatte sie heruntergeholt von einem Hof in der griesen Gegend, das siebte Kind, die unbezahlte Magd; ein Prüfer des Milchkontrollverbandes, ein Studierter vom Neuklosterschen Seminar hatte sie zur Frau gewünscht. Sie war nicht im Frieden von ihrer Familie gegangen, sie konnte dahin nicht für lange Zeit; suchen würde er sie doch bei Eldena. Sie hatte gehorsam in Hamburg den Beruf des Kochens gelernt, dreißig Jahre schon, drei Jahre lang, während der Mann sich in Brasilien umtat nach einem Platz für sie beide, bis er doch zurückkommen mußte in das kaputte Deutschland. Sie war schon 38 Jahre alt, als Jakob geboren wurde in einer Inspektorwohnung bei Crivitz, da würde der Mann sie suchen, in Hamburg, bei Hagenow. Seit die Post wieder Karten annahm, hatte sie Cresspahls Adresse an elf Gutsverwaltungen, Schullehrer, Kirchenämter geschickt, wo der Mann sie vermuten konnte, selbst das Schreiben an die Familie hatte sie sich abverlangt. Es war keine Antwort gekommen, und sie glaubte Cresspahl nicht, daß er den Mann finden würde, sollte er je nach Mecklenburg kommen. Cresspahl wollte sie trösten; sie wollte ihm sogar abnehmen, daß die Einladung in sein Haus auf Dauer gelten sollte.
    Es war so viel an dem Haus, das verstand sie nicht. Das Haus gehörte diesem Cresspahl nicht, es war Eigentum seiner Tochter, eines zwölfjährigen Kindes, und wer es nicht glaubte, sollte Papenbrock fragen. Papenbrock als Schwiegervater, wie konnte der und sein großmächtiges Schloß von einem Stadthaus am Markt passen zu den Resten einer Tischlerei hinter dem Friedhof. Der hatte einen toten Sohn, für den durfte er eine Gedenktafel aufstellen im Familienbegräbnis, der andere Sohn sollte verschwiegen werden, Kinder hatte der umgebracht in der Ukraine, Dörfer angezündet. Dennoch hatte bei den Papenbrocks ein Mädchen aus der Ukraine gelebt, anfangs als Dienstmädchen, von Dezember 1944 an ausdrücklich als Verlobte, und die Deutschen hatten sie gegrüßt, der Familie zuliebe. In Pommern, auf dem Boninschen Hof, waren die Zwangsarbeiter gehalten worden als Vieh, das kann sprechen. Jene Slata war von der Roten Armee nicht »nach Sibirien« deportiert worden, sie arbeitete auf der Kreiskommandantur als Assistentin, »Engel von Gneez« sollte sie sich als Namen verdient haben, und in Jerichow wurden neuerdings die Gerüchte abgestritten, wonach sie vor dem K. A. Pontij niedergekniet sei und ihm die Hände geküßt habe. Nun war der reiche Mann Papenbrock abkommandiert als Verwalter auf ein Sowjetgut südlich von Gneez, und seiner Frau war das Haus aus der Hand genommen von Flüchtlingen und russischen Soldaten, die in den Nächten das große Gesellschaftszimmer als Tanzsaal einrichteten. Cresspahl war Bürgermeister, er hätte der Schwiegermutter beistehen können; sie kam ihn um nichts bitten, er ging an ihrem Haus vorbei. Cresspahls Kind hatte

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