Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
sie vielleicht ausgekommen in einer Wirtschaft, und nicht einmal die Kredite hätten ihn geschreckt. Nur habe er von Frau Abs ein Einverständnis nicht erwartet, und von K. A. Pontij habe er keins bekommen.
– Sühst? sagte Jakob vergnügt, obwohl doch nicht ihm recht gegeben war. Es war nicht das erste Mal, daß sie zwischen den beiden eine Absprache vermutete; sie griff sich die Kinder und führte sie ins Haus. Sie sah noch, daß Jakob sich hinsetzte mit diesem Cresspahl. Aus dem Tor vor der Ziegeleivilla kam der Herr Unterleutnant Wassergahn, zog seine Uniformbluse in gefällige Falten, strich sich mit der Hand ums Kinn, roch an der Hand. Herr Wassergahn war unterwegs zum Tanzen in Louise Papenbrocks Gesellschaftszimmer, und nun besprach Jakob mit Cresspahl die Frage, ob »diesen Brüdern« zu trauen sei. Sie waren noch lange nicht geübt miteinander, und was wir durch unser Fenster hörten bis tief in die Nacht, klang so ähnlich wie Streit.
Frau Abs kam nicht zurück zu den beiden, und die Fenster ihres Zimmers hielt sie geschlossen. Sie war empört, daß ihr ein solcher Antrag gemacht worden war, vor den Kindern. Sie war nicht unzufrieden, daß Cresspahl eine Siedlung nur mit ihr hätte anfangen wollen. Sie dachte sich zurecht, was Jakob mit all seinen schlauen Gründen zudeckte. Er wollte nicht, daß sie sich noch bückte auf dem Feld. Sie sollte im Stehen arbeiten, im Sitzen womöglich; sie sollte geschont werden. Er hielt sie für zu alt. Cresspahl, obwohl aus seinem Antrag nichts werden konnte, hielt sie nicht für zu alt. Sie war mit beiden uneins, und mit beiden einverstanden. Sie zeigte den beiden eine Woche später, daß sie sich nicht anbinden ließ an Cresspahls Haus. Sie ging halbtags arbeiten, im Krankenhaus, als Köchin.
Gesine sah es nicht gern, wenn Frau Abs sich anzog für die Stadt und ihre schwarze Tasche packte. Es war ein Kasten aus Leder, damit konnte man verreisen. Wer ohne Not aus dem Haus zum Arbeiten ging, konnte auch weggehen aus der Stadt. Wie war Jakobs Mutter zu halten in Jerichow?
21. Mai, 1968 Dienstag
Erst haben die französischen Kommunisten den Generalstreik weder kommen sehen noch unterstützt, nun wollen sie gleich ein Bündnis der gesamten Linken, ein wahrhaft republikanisches Regime, und auf dem Weg zum Sozialismus sehen sie es auch.
Die polnischen hingegen haben endlich herausgefunden, warum sie nicht verstanden werden von den Polen: die Schuld liegt bei den tschechoslowakischen. Wie die sich öffentlich befragen lassen über ihre Vorhaben, solch Beispiel kann doch nur schaden.
Die ostdeutschen haben sich in Schweden ertappen lassen mit vergrabenen Radiosendern und toten Briefkästen.
Die tschechoslowakischen haben immer noch Alexej N. Kossygin zu Besuch. In Prag helfen sie ein Stadtbüro für Panamerican Airways eröffnen, achtzehn Jahre nach der Schließung durch den Staatsstreich, nach zwei Jahren Verhandelns, und bis nach London darf der Flugpreis in Kronen entrichtet werden. In Karlsbad, in Karlovy Vary geht der sowjetische Ministerpräsident öffentlich spazieren und gebraucht das heilende Wasser.
Heute wollten wir Don Mauro die Kundschaft kündigen.
Don Mauro führt einen Laden am Broadway (in den letzten Wagen des Westseiten-Expreß einsteigen, den Bahnhof 96. Straße entgegen der Fahrtrichtung und ostwärts verlassen), das ist eine geringfügige Falle, gespickt mit Tabakwaren, Süßigkeiten, billigem Schreibzeug. Eine Reihe Telefonzellen mag noch Kunden locken, Zeitungen führt er nicht, auch nicht mit einer Sitzbank hat Don Mauro dafür gesorgt, daß die Kunden länger bleiben als der Tausch von Geld gegen Ware erfordert. Es ist ein Schuhkarton von einer Falle, sparsam abgeteilt vom benachbarten Geschäft, die träge kreisenden Ventilatorblätter scheinen luxuriöse Ausschmückung. In Wahrheit ist Don Mauro ein Pfeiler der puertorikanischen Gemeinde auf der Oberen Westseite von Manhattan, eine Zierde des Kirchenrates, eine Respektsperson für die Polizei, Vorsitzender des Bürgervereins, und wer immer eine Wahl gewinnen möchte in diesem Revier, er sollte nicht anfangen ohne Don Mauros guten Willen. Als Don Mauro ankam vor achtzehn Jahren von seiner Insel, konnte er eine Wohnung kaum erschwingen, Arbeit schwer finden, nur er fing es anders an als die Neger. Sie sagen, noch heute: So machen sie es eben mit uns; er begann unverzüglich mit der Meinung: Mit uns machen sie das nicht. Von Anfang an war Don Mauro mehr gleichberechtigt, mehr ein Bürger der
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