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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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einsalben, die dickbeuligen Furunkel mit Ichthyol behandeln, ihnen zur Arbeit um ein Winziges dickere Kreudebrote mitgeben; die Kinder schienen manchmal ein Grund zum Bleiben. Hanna Ohlerich war gleich zu ihr übergelaufen; Gesine blieb lange aus der Reichweite, vielleicht weil sie in so winzigen, zögernden Schüben aus dem Fieber aufgetaucht war und sie erst dann wieder erkannte. Beide sagten nicht Mutter zu ihr, jedoch auch nicht Tante, und wenn sie sich an den Familiennamen hielten, so rutschte ihnen doch oft genug ein Du durch. Hanna Ohlerich war selber ein Gast bei Cresspahl, sie verriet gelegentlich mit blicklosen, verengerten Augen, daß sie sich wegdachte, dem Kind war schon beliebig, mit wem es leben mußte. Bei der Gesine glaubte Frau Abs sich halb willkommen. Die blickte von ferne, fragte auf verschlungenen Umwegen, stand stumm und verschlossen, wenn Frau Abs dem Briefträger entgegengelaufen war und enttäuscht zurückkam. Wenn Jakob mit den Kindern zu hören war, schob Frau Abs die Klappe im Küchenfenster ein wenig auf. Sie merkte sich Gesines unverhofftes, dringendes Fragen nach Podejuch, wie Jakob ihr einen Schabernack auf die Nase band, wie Gesine schweigend wegging und zerknirscht in der Küche ankam. Und wenn sie je gelächelt hat über dergleichen zwölfjährige Nöte, sie hat es nicht vor meinen Augen getan. Als ich gelernt hatte, sie nicht mehr zu zeigen, hat sie mir geholfen.
    Ende August trug Frau Abs in der Schürzentasche ein Stück Zeitung, klein gefaltet. Wenn sie allein war, las sie manchmal, was Edwin Hoernle, Mitbegründer der alten K. P. D. und nun Präsident der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, über die Bodenreform verkündet hatte: »daß es heute darauf ankommt, den alten Traum jedes deutschen Kleinbauern und Landarbeiters endlich zu erfüllen, den Traum vom eigenen kleinen Bauerngut. Diese Menschen sind mit dem demokratischen Deutschland verbunden, solange sie leben«, zwar verstand sie das Wort demokratisch nicht, sie nahm das andere für ein Versprechen. Sie war keine Landarbeiterin, sie hatte in der Boninschen Küche einen weißen Kittel angehabt, aber sie hatte bis zu ihrem zweiunddreißigsten Lebensjahr auf dem Lande gearbeitet. Diesmal wurden ihr die Tage noch länger, bis Jakob wieder nach Jerichow kam. 55 Jahre war sie alt, sie wollte mit ihm eine Siedlung nehmen. Jakob war bald achtzehn, er konnte einen Hof führen.
    Sie hatte ein schlechtes Gewissen, sie besprach sich mit Jakob erst abends; sie mochte es nicht im Haus tun, sie ging mit ihm auf den Bruchweg. Es war Jakob nicht recht, weil es für Cresspahl heimlich aussehen mußte.
    Dann betrug er sich zu ihr wie zu einer Kranken. Er wollte nicht siedeln. Mit zwei Pferden, einem siebzehnjährigen dabei, fing er keine Wirtschaft an. Er gab zu, daß der Boden um Jerichow Weizen in Fülle trug. Er wußte auch, welche Güter aufgeteilt werden sollten, er hatte die Gutshäuser gesehen, die als Wahrzeichen des Feudalismus abgerissen wurden, sie würden bauen müssen. Mit den Trümmern? mit Holz? Sie hatten keinen Pflug, keine Egge, keine Mähmaschine, die waren auf dem Schwarzen Markt nicht zu haben. Und das Land war nicht geschenkt, der Hektar war zu bezahlen mit dem Gegenwert von einer Tonne Roggen, manchmal anderthalb Tonnen, und wenn der Preis auch aufgeteilt werden konnte in Raten bis zum Jahr 1966, wollte sie mit solchen Schulden anfangen? Von der Ablieferung wolle er gar nicht reden, 550 Liter Milch je Kuh, 20 Eier pro Huhn, denn sie hätten die Tiere noch nicht, davon werde überdies Lebendgewicht verlangt. Er stellte ihr das in fröhlichem Ton vor, die Mutter fühlte sich bevormundet, und obwohl sie vor den genauen Schwierigkeiten erschrocken war, sie glaubte hinter ihnen etwas versteckt.
    Fast war sie zornig auf ihn. Der Junge sollte doch Eigentum haben. Es sei nicht die Zeit dafür: erklärte er, wieder auf jene wegwerfende, trauerlose Art, und in ihrer Verwirrung bat sie Cresspahl, ihrem uneinsichtigen Sprößling den Kopf zurechtzusetzen.
    Cresspahl saß mit den beiden Kindern auf der Treppe vor dem Haus, obwohl es schon dunkel war, und sie sahen den Abs entgegen, als hätten sie gewartet. Er stand gleich auf, tat dann die Hände in die Hosentaschen; er war durchaus bereit, noch lange so zu stehen. Er habe selber gedacht, zu siedeln, ob im Einverständnis mit den von Zelcks oder nicht, und am besten zusammen mit Frau Abs. Mit den Kindern und Jakob, zu fünft, mit Jakobs Vater zu sechst, wären

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