Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Mühe von ganzen zwei Seiten gemacht hast. Sonst hab ich nur Karten, eine aus Dänemark, eine aus der Schweiz, zwei aus London, der Rest aus den U. S. A., meist New York. Zweiunddreißig Stück im ganzen.
An deinem Geschenk hat mich gefreut, daß man es in seinem blauen Lederetui an einem Band um den Hals tragen kann wie ein Medaillon, und keine von den schlauen Schwestern, nicht einmal Sister Magdalena, wird darin eine Uhr vermuten. Denn das Tragen von Uhren ist uns im Unterricht ›verboten‹. Das sagen die Leute hier auf deutsch, wenn eine Vorschrift genau gegen das Vernünftige geht. Schmuck ist auch ›verbotten‹ (so nämlich), aber diesen werden sie unter der Uniformbluse nicht sehen. Ich danke dir und werde mich erinnern an dich, jedes Mal.
Der in diese Uhr eingebaute Wecker ist hoffentlich nicht gemeint, mich zu erziehen. Denn ich stehe immer gleichzeitig mit Gesine auf, damit ich sie einmal am Tage wach sehe. Am Dienstag ist sie von der Tür zu ihrem Bett gegangen und blieb so liegen bis zum nächsten Morgen. Auf der anderen Hand bin ich immer pünktlich in der Schule und habe noch nie den Fünferbus nehmen müssen dahin. ›Nehmen Sie keinen Bus, sondern bezahlen Sie den Fahrpreis wie jeder andere anständige Mensch.‹
Die Wahrheit zu sagen, schreibe ich dir auch, weil ich zum ersten Mal Briefpapier habe mit meinem gedruckten Namen. Das ist ein Geschenk von D. E. ›Weil es sich gehört für jemanden über zehn.‹ Elf Jahre bin ich geworden heute morgen um halb acht.
Von D. E., du kennst ihn wohl als Erichson, soll ich dir etwas sagen. Gesine will ihn heiraten. Im Herbst, wenn wir Prag hinter uns haben. Es soll en petit comité sein, mit dir als unserer besten Freundin (und eben einer Schwiegermutter). Damit wird Gesine Bürgerin der U. S. A., ich bin dann von einer ganz anderen Nation.
Es war mein erster Geburtstag ohne eine Gesellschaft. Zehn Gäste hätt ich leicht haben können. Aber es sollte mit Francine sein, dem schwarzen Mädchen, das eine Weile bei uns gelebt hat, bis die Fürsorge sie holte. Wir haben sie gesucht auf der ganzen Oberen Westseite der Stadt, und selbst D. E. hat keine Spur. Francine hätte ich einladen mögen als erste. Vielleicht ist sie tot. Ein Grab würde D. E. finden.
Überhaupt müssen wir es ja lernen zu dritt, und so ist dies der erste Geburtstag, den D. E. für mich gemacht hat. Als ich aus meinem Zimmer gehen mußte, habe ich mir die Augen verbunden und bin auch so auswendig zurückgegangen. Denn ich wollte den Tisch erst sehen, wenn beide dabei sind. Sie sollten mich rufen, und vor allem das Lied singen, mit dem in Mecklenburg die Geburtstagskinder geweckt werden: Ich freue mich, daß du geboren bist. D. E. hat es für mich gesungen. Dann bin ich gekommen.
Der Tisch war gedeckt mit dem Damasttuch, das von Gesines Mutter auf uns gekommen ist. Das wird sonst nur zu Silvester ausgelegt. Wie sie wohl die Blumen in die Wohnung geschmuggelt haben! aber wenn du D. E. kenntest, würdest du dir das Wundern abgewöhnen. Elf Kerzen in allen vier Farben, die für 1962 geringelt angemalt, ›weil doch die Jahre unterschiedlich sind‹.
Ehe ich das nun wieder geknackt habe. Denn 1962 hat er uns kennen gelernt. Er zeigt einem wohl was zum Denken, aber dann sollst du es selber tun.
Da war dein Päckchen. Du, ich habe erst eben die Gravur HMC gesehen. Es gehört wohl zu deinem Beruf, daß du so genau nachdenkst über andere Leute. Von Gesine habe ich ein Modell des englischen Vorkriegsdaimler, der hat mir schon lange gefehlt. (Findest du es albern, wenn man so etwas sammelt?) Von Jason, Shakespeare und Robinson Adlerauge einen Luxuskarton Kaugummi, was ich ihnen hoch anrechne, aber nun haben sie mich gegenüber Gesine bloßgestellt. Die hält Kauen für schädlich. Von Mrs. Erichson zwei Yards Shawl in den mecklenburgischen Farben (die wird dann meine Stief-Großmutter). Von de Rosny, das ist Gesines oberster Häuptling, ein Sparbuch. (Fünfundsiebzig Dollar.) Von D. E. dieses bedruckte Papier und ein Gesicht, als würde Butter nicht schmelzen in seinem Mund. Traue Niemandem über Vierzig.
Weil er aber gelauert hat wie ein Schießhund, habe ich getan, als sei dies das Ende, und ließ mich harmlos mitnehmen auf einen Spaziergang im Riverside Park. Gesine hatte die kopenhagener Bluse an, weil er in so einem blauen Leinenanzug gekommen ist. (Er hat noch immer keinen Kleiderschrank bei uns.) Du siehst also, daß die sich in allem verabreden.
Anfangs hab ich dem
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