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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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weiß gedeckten Tisch in Schwerin, nämlich als Gattin eines Staatssekretärs für Kirchenfragen in der Landeshauptstadt von Mecklenburg(-Vorpommern). Kurz, Aggie hatte sich, sie stellte sich an, als wär sie vorgestern zum letzten Mal gekommen, statt vor zehn Jahren. Cresspahl hatte die Augen auf dem Herd, in dem er Holz nachlegte, daß sie es wärmer habe womöglich, und ließ dennoch sich verlocken zu einer Frage. – Nich –? sagte sie; wie das nur eine kann, die ist zwischen Grabow und Wismar aufgewachsen. Der Posten im Ministerium, den hätten die Kommunisten in der Regierung sich gedacht als eine Belohnung für Brüshaver, weil sie ihn als Genossen zu führen meinten in Sachsenhausen und Dachau. Aber sie selbst hätten sich ein P davor geschrieben, indem sie den Kampfgefährten Brüshaver zu geläufig abwiesen bei ihrem Kommissariat 5, wenn er wieder und abermals vorsprach in der Sache von Gemeindegliedern, die verschwunden waren und wegblieben nach dem Belieben der sowjetischen Freunde. (Hier bekam jemand in Cresspahls Küche rote Ohren, vor Scham. Sie hatte dem Pastor den Gruß verweigert, weil sie ihren Vater verraten glaubte von ihm.) Und wie mit der weltlichen Behörde, habe Brüshaver in seinem Eigensinn es verschüttet mit der geistlichen, nämlich seit er dem Kriminaloberobermeister Herbert Vick eine Beisetzung nach kirchlichem Ritus habe verweigern müssen. – Vick? fragte Cresspahl entgeistert, aber nicht wegen des Todesfalls. – Vick! rief Aggie, und zitierte: »Weil ich ein aufrichtiger Nationalsozialist bin!« Jetzt waren die zehn Jahre zwischen ihnen vergangen und verfallen; wie unter sich sprachen sie nun. Die demokratische Zivilverwaltung von Mecklenburg habe von Herbert Vicks Künsten wenigstens die kriminalistischen nützen wollen, auch zu Lehrzwecken, beim K 5 im Raum Neubrandenburg, und ihn für seine Dienste belohnen mit einer christlichen Aussegnung, als wär das Drum und Dran und Schaufenstergestaltung. Brüshaver nach seiner Pflicht habe sich besinnen müssen darauf, wie jener verdiente Ordnungshüter sein Lebtag sich enthalten habe von Gottesdienst und Abendmahl, als Deutscher wie als Antifaschistischer Christ; Jerichow als Ort der Taufe hin und her. So habe die Volkspolizei einen Pastor in Gneez finden müssen für Vicks letzte Ehren, und Brüshaver sei vorgeladen worden bei der Landessuperintendentur, zwecks leichter Verwarnung. Die Mecklenburgische Landeskirche wünsche einen Kollisionskurs zu vermeiden, das hatte sie ihm schriftlich gegeben, das konnte Brüshaver sich rahmen lassen wie seinen feierlichen Ausweis als »Kämpfer gegen den Faschismus« (Richtlinie 4), wenn es denn Rahmen gäbe, und wegen eines Fensterrahmens übrigens spreche sie vor … Kein Wort von der Abwesenheit der Cresspahls, der Abs’ bei ihres Mannes Predigten, kein Wort von Gesines Hochfahrenheit, und bedankt sollen Sie sein, Fru Paster.
    Denn am nächsten Morgen putzte Cresspahl einen von seinen Zollstöcken, ölte die Gelenke, steckte ihn ein und ging wahrhaftig ein Stück in die Stadt, unter Leute, zum ersten Mal seit dem Oktober vor drei Jahren, seit dem Mai von diesem. Ging zu einer Arbeit.
    Es war eine Fensterbrüstung (window breast) im Oberstock des Pastorats. Aggie machte Cresspahl vor, wie sie beim Putzen der Scheiben sich abgestützt habe und mit dem Handballen durch den makellos anmutenden Lack fast drei Zentimeter tief abgestürzt sei in verrottetes Holz, keineswegs mutwillig. Es erwies sich, daß die Brüstung mit bloßen Fingern zu zwei Dritteln abzuräumen war. Aggie wollte es erklärt haben, da das Fenster erst 1944 erneuert worden war. Ein Handwerksmeister hält auf sich und verkneift sich die Bewertung fremder Arbeit. 1944 war hier Wallschläger an der Macht gewesen, der leuchtende Pastor, der Verkünder des nordischen Führertums. Wenn einer dem übel wollte, brauchte er bloß vom weichsten Holz zu nehmen, von einer Schwarzpappel wie es aussah, ein oder zwei Kanäle anlegen mit einem Dorn oder Schraubenzieher, alles verstecken unter Farbe und rechtzeitig wegziehen aus Jerichow. Denn der Regen, angetrieben von den westlichen Winden wie denen der See, trennt schon im ersten Jahr die Brüstung von der Bank (window sill), spült klammheimlich im Mörtel und wird im Mauernest bald nur noch gehalten von der Tapete im Inneren. Dann ist es für eine Reparatur zu spät, hier haben wir es zu tun mit einem Totalschaden, für den braucht es mehr als fünf Kilo Tabak auf dem Schwarzen Markt. –

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