Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
angeschlossen an eine von den Wonnen der herrschenden Klasse.
Jakob gedachte ich diesen Pius fernzuhalten (wurde ich ihm doch untreu, auch wenn er es nun einmal mit anderen Mädchen hielt). Es vergingen wenig Wochen, da sah ich Pius im Gespräch mit ihm, den vornehmen langen Jungen in höflicher Haltung vor dem untersetzten Kerl im speckigen Päckchen der Eisenbahner. Jakob hat in allen Stücken die Hand über mich gehalten.
Pius und ich waren ein Paar, denn vom gemeinsamen Schultisch gingen wir zusammen in die Straße der D. S. F. zu Pagenkopfs und machten unsere Schularbeiten im »Salon«. (Denn das Dienstmädchen, das Helene Pagenkopf einmal gewesen war, hatte das Wohnzimmer vollgestellt mit Blumenständern, Etageren, Miniaturtischchen, Clubsesseln, da war nur knapp ein klarer Raum gelassen um einen Flügel, den Beitrag von Pagenkopf senior.) Da wir gemeinsam wieder aus dem Haus kamen, waren wir ein Paar.
Die Lehrer gewöhnten sich daran. Hatte der Lulatsch für Sport mich vergebens gesucht, ließ er mir den Termin fürs Training ausrichten durch den Schüler Pagenkopf. Es versteht sich, daß der die Schülerin Cresspahl zur Badeanstalt begleitete, ihr Schwimmzeug auf seinem Gepäckträger mit sich führend. Wie sie wurde er Mitglied des S. V. Forelle, denn sein Vater hatte etwas »gesellschaftliche Betätigung« von ihm erbeten. Da in einem Paar einer für den anderen sorgen muß, fand Pius heraus, daß übermäßig für einen Sport begabte Kinder ausgezeichnet werden mit einer Versetzung auf Sonderschulen, wo sie von ihrer Sache mehr lernen als in den brauchbaren Fächern, so daß sie nach ihren Turniersiegen recht früh und später als andere einen Beruf suchen müssen. Die Leistungen des kraulenden Asses Cresspahl sackten ab auf fast schon normale Zeiten. Zu beweisen war wenig, da die übrigen Lehrer gleichmäßiges Arbeiten dieser Schülerin meldeten, und der Sportlulatsch traf die Stoppuhr auf die Krone mit seiner Anklage, Cresspahl beschäftige sich zu oft mit Pagenkopf. Jedoch befreite er mich von seinen Übungen, denn Paare mochte er nicht verbieten. Wir müssen ihm gefallen haben, als ein Paar.
KLIEFOTH : Was soll diese Anstellerei, Frau Habelschwerdt! Gerade am Tisch sind die sicher vor der Richtung Ihrer … geschätzten Befürchtungen!
Die Welt findet es hübsch, wenn in einem Paar beide Ähnliches aufweisen, und ich wurde Pius etwas mehr gleich, indem ich Mitglied der F. D. J. wurde, ganz wie er. Denn sein Vater hatte sich nun auch von »der Freundin meines Sohnes« etwas gesellschaftliche Betätigung ausbitten müssen. Er mag etwas knapp bei solcher Kasse gewesen sein, denn mein Buch mit der aufgehenden Sonne war bald unzureichend, ich mußte auch das schmale längliche Heftchen erwerben, auf dem eine schwarz/rot/goldene Fahne vor einer sowjetischen schräg in einen Kreis gesteckt ist. Da hieß das schon Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, und nachdem Cresspahl das Stalin-Telegramm hinter meinem Namen ganz durchgelesen hatte, erhöhte er mir das Taschengeld gleich um fünfzig Pfennig, »für die nächsten«. Da lag es nahe, daß zu Beginn der zehnten Klasse Pius zum Ersten Vorsitzenden unserer F. D. J.-Klassengruppe gewählt wurde, ich zu seinem Stellvertreter; das sind wir bis zum Ende geblieben und haben es beide ins Zeugnis bekommen.
Als ein Paar fuhren wir zur wilden Badestelle am Südufer des gneezer Stadtsees, ohne die anderen schwammen wir schräg querüber zu den Bootshäusern, die Willi Böttcher nun für die Fortschrittliche Intelligenz ins Wasser stellte, gemeinsam kamen wir zu dem Rest der Klasse zurückgeschwommen, und offensichtlich hatten wir die ganze Zeit miteinander geredet. War ich da einmal ohne ihn, sangen sie noch manchmal die Frage, ob denn Liebe Sünde sei, aber das mit der Verlegenheit hatte Pius mir ausgetrieben, und sie lernten, sich bei mir nach ihm erkundigen. Waren wir doch die, die trockneten sich an einem Handtuch ab, das Paar.
Wenn zwei längst ein Paar sind, gehen sie ins Kino je nach dem Vorrat an Geld und ob ihnen der Film gefällt; wenn zwei noch lange kein Paar sind, muß einer dem anderen den Eintritt spendieren und innerhalb von neunzig Minuten mühsam ausprobieren, ob sie denn eins werden könnten. Ist von einem Paar nur einer anwesend, hält man dem anderen den Platz frei, hier neben Pius, laß das frei für Gesine, und sie rufen einem entgegen: hier ist dein Mann! In der F. D. J.-Versammlung, auf der Theaterfahrt nach
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