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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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I’ll have to make a botch of it: sagte Cresspahl tröstend, indem er an seinen Beruf sich erst gewöhnen mußte, und übersetzte es ungern, weil es zweierlei bedeutete: Pfusch machen und flicken. – Einen Notverband für den Winter: versprach er, und Aggie war beruhigt, weil er das Fenster vermaß, als sei es zu retten. Daß er ihr die Sabotage vorenthielt, ich rechne es als zweiten Schritt bei Cresspahls Rückkehr ins Leben mit den Leuten, statt wie vorgeschrieben gegen sie.
    Nun finde du für das reformierte Geld von Ostdeutschland und billige Worte Zement in Jerichow oder Gneez, um das Mauerwerk zu verschmieren und den Rest der Brüstung zu bandagieren, eine Spitztüte voll! eher läuft dir ein Sack Mehl über den Weg. Dann fehlt es noch an einem Trumm Buche oder Traubeneiche, einsfünfzig mal fünfzehn mal acht, von Wasserglaslösung oder Kunstharz zum Imprägnieren zu schweigen. Wer danach sucht, er hat wieder Wege, mindestens Gespräche muß er anbieten, und wenn er kommt, die notdürftig geschützte Wunde im Bau anzusehen, er sieht Pastor Brüshaver im Garten stehen, zwar beim Umgraben seiner Blumenbeete gebückt, aber mit einem Aufblick, als kennte er einen. Dann läßt sich reden über die Zeiten, als der Herr Pastor auf dem Rathaus vorzusprechen hatte bei Bürgermeister Cresspahl, zwecks Genehmigung einer Versammlung (Gottesdienst). Oder, wir haben nunmehr Mai wie auch eine neue Staatsverfassung, deren Artikel 44 den Religionsunterricht in weltlichen Schulklassen gewährleistet, außer vielleicht in Jerichow, wo Brüshaver seine Mündel wartend findet vor einer verschlossenen Tür in der Schulstraße und der Kreisschulrat benimmt sich in seinen Schriftsätzen, als sei die evangelische Kirche für einen aufrechten Kommunisten eine entbehrliche unter den gesellschaftlichen Gruppierungen und ihr Pastor in Jerichow eher ein lästiger Bittsteller denn ein Genosse im Antifaschismus. Kartoffeln brauchen lockeren Boden, Herr Pastor. Einmal hacken, bevor die Triebe rauskommen. Bei zehn Zentimetern Höhe hacken und häufeln, noch einmal häufeln, wenn die Pflanzen lang sind so wie Ihre Hand, it’ll do your waistline lots of good. Dann durfte Brüshaver, mit all seinem Griechisch und Latein, sich erkundigen, und Cresspahl belehrte ihn: Dat sünt so Sprück.
    Nachbarschaft. Neckerei. Aggie Brüshaver brachte die Lebensmittelkarten nun ins Haus, Straßenvertrauensfrau für Jerichow Süd die sie war (»weil einer es doch machen muß, und weil sie von mir bloß die Abrechnung kriegen, keine Leumundszeugnisse«). Wenn Cresspahl sich wehrte gegen Palmin oder Schinkenspeck, die sie für ihn aus der Schwedenspeisung abzweigte, bekam er zu hören, es gehe bei ihr nach der medizinischen Bedürftigkeit, statt nach Mildtätigkeit, und einer staatl. gepr. Krankenschwester hat gerade ein Patient von einundsechzig Jahren sich zu fügen. Ihr war aufgefallen, wie mein Vater den Kopf hielt, und bald betraf ich sie, wie sie ihm die Muskeln von Schultern und Nacken durchknetete, und war eifersüchtig, weil er nie die Tochter darum bat. – Da bin ich doch die Nächste zu: sagte Aggie, wenn er sich bedankte, und gab ihm einen Klaps, damit er das Hemd wieder anzog. Einmal war Jakob bei uns zum Wochenende, da kam sie und tat sie und hatte sich, als lese sie ihm die Leviten. Jakob war zu Ostern 1948 in die Petrikirche gegangen, zur Predigt in Sachen Auferstehung, und sie hielt ihm vor, daß er, wenn auch in einer hinteren Bank, bis zum Ende mit verschränkten Armen dagesessen habe. – Als ob Sie sich ein Angebot machen lassen! rief sie, worauf Jakob nach einer Weile nickte, als habe es so sich verhalten. Und weil ich sie höre, kann ich ihn noch einmal sehen. Brüshaver war nun drei Jahre lang aufgetreten ohne Zähne, die waren ihm ausgeschlagen zu Sachsenhausen; endlich redete ihm Aggie sein Mißtrauen gegen »deutsche Ärzte« aus, er erschien mit gelblichen Kunststoffgebilden im Munde und kaute lange leer wie ein Mensch, dem schmeckt etwas schlecht. – Say »sixpence«: verlangte mein Vater von ihm, und sie übten das Kunstsprechen mit einander, wie die kleinen Jungs. Einmal sah ich Jakobs Mutter die Lippen verziehen angesichts der beiden, das sah mühsam aus und als täte es weh; da hatte sie sich an einem Lächeln versucht, heimlich. Wenn sie streng tun wollte mit Aggie, redete Jakobs Mutter sie an als »jung Fru!« Die hatten im Krankenhaus Vertraulichkeiten erworben. Und mögen die einen mir verziehen haben aus einer

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