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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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christlichen Nötigung, so konnten die anderen das bloß aufbringen, weil ich dazu gehörte, sagen wir durch Aufenthalt.
    Denn die Gesine Cresspahl von 1948 wollte bloß die Nachbarschaft ertragen. Zum einen war sie nun eine »Oberschülerin« von Berufs wegen und hatte die Sache mit Gott für sich erledigt auf eine Art, die sie für ureigen hielt; zum anderen konnte sie ihren Unglauben schlicht beruhigen mit der Erinnerung an das Gebet, mit dem ein lutherischer Feldgeistlicher der U. S.-Luftwaffe den Beistand Gottes erfleht hatte für die Besatzung des Flugzeuges, das die erste Atombombe über einem bewohnten Land abwarf; sie unterstellte der evangelischen Theologie ausreichend taktischen wie strategischen Verstand, um eine gewöhnliche Beschädigung der Stadt Hiroshima für ausreichend zu erkennen, die Kriegslage vom 6. August 1945 um 9 : 15 Uhr (Washington-Zeit) einmal als gegeben vorausgesetzt. Der Schülerin Cresspahl war bewußt, warum der Neue Staat mit seiner Neuen Zeit die Aufmärsche, Versammlungen, Arbeitseinsätze mit Vorliebe ansetzte auf die Termine der kirchlichen Feiern; sie glaubte sich entbehrlich in solchem Zweikampf und fühlte sich unparteiisch, wenn sie verschwieg, wie der Zigarrenstummel in den Schulraum gelangt war, der Anlaß und Vorwand für die Aussperrung der Kirche: der Knabe Ludwig Methfessel war streng angehalten, seinen neuen Lehrern aufs Wort zu folgen. Und anders wäre es ja Petzerei gewesen. Was ging sie die Kirche noch an!
    Es kann die Heidin schlecht im Frieden leben, wenn anderen Heiden das mißfällt. Seht diesen Jakob an, der eine eingeregnete Katze mitbringt ins Haus und das triefende Bündel am Nacken vor sich hält, bis er es endlich fallen läßt mit dem Befund: Naß wie ein Jonas! und erst dann merkt er Cresspahls Gesine warten und überblickt sie obenhin, müßig, als ginge ihr die Kenntnis von biblischen Walfischen ab. Hört die Sprüche von Heinrich Cresspahl in diesem Sommer, englisch und evangelisch fallen sie aus: Don’t preach to the converted! Don’t mock the afflicted! und Gesine soll ihm das übersetzen ins gegenwärtige Deutsch, als sei sie zu ungebildet für das von Luther. Jakobs Mutter läßt von ihm sich necken mit der altlutherischen Extrawurst, kommen geistliche Gegenstände so doch wenigstens zur Sprache; sie geht aber in diesem Herbst zum ersten Mal in Brüshavers Kirche, sie nimmt von ihm das Abendmahl. Im Oktober erscheint im Pastorat der Petrikirche von Jerichow die Tochter von Johann Heinrich Cresspahl, geb. 1933, dem Amte wohl bekannt, und wird vorstellig um eine zweite Zulassung für den Unterricht zur Konfirmation. Auf daß sie des Einverständnisses ihrer Älteren abermals teilhaftig werde. Das gefallsüchtige Kind.
    In der warmen Jahreszeit war Pastor Brüshaver mit seinen Mündeln spazieren gegangen, zu Unterweisungen auf einer Wiese im Gräfinnenwald; im unmäßigen Gewölbe der Kirche waren sie zu wenig, sich an einander zu wärmen. Er versuchte, für die eine Stunde am Sonnabendnachmittag Wohnzimmer in Jerichow auszuleihen, von Quades bis zu Maaßens (das Haus von Cresspahl strikte ausgenommen); die Bürger klagten über den Schmutz, den fünfzehnjährige Kinder an ihren Sohlen auf die heiligen Dielen tragen. Frau Methfessel hatte gleich nach dem Krieg sich gefallen in Reden von der »Schicksalsgemeinschaft«, in der ihr Mann und Brüshaver einander begegnet seien; nun kam sie ungeschickt auf gegen den störrischen Sprößling Ludwig, der gerade bei des Pastors Stunden an einem Fußball übte vor der Tür zur guten Stube. Frau Albert Papenbrock hatte den größten Saal von Jerichow (und den steilsten Glauben an die evangelische Landeskirche, hörte man sie); mit Anwärtern auf die Kirche in ihrem Haus fürchtete sie den Unwillen von Alberts Gefängniswärtern aufzurühren. Sie rang die Hände vor ihren Bedenken, sie barmte, leise jaulend: immer werde es von ihr verlangt, immer mehr als von den anderen … Brüshaver bestellte das Hinterzimmer des Lübecker Hofs, der nun in einen Ratskeller umbenannt war. Pächter Lindemann ließ ausrichten, Versammlungen müßten angemeldet und genehmigt werden, gerade die eines Vereins. Die Bürgermeisterei von Jerichow untersagte die Nutzung weltlicher Räume für religiöse Propaganda. (Das war der nach Bienmüller, Schettlicht, der blankäugige Agnostiker aus Sachsen.) Brüshaver vermutete da eine Willenserklärung der Roten Armee; er genierte sich, die auszuprobieren in der Kommandatura von

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