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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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in unserem Klassenzimmer zur Vorführung befehlen. Wäre schlecht ausgegangen.
    – Keinen Mucks tat sie.
    – Was hingegen sich rührte, war das Gerücht, das vorerwähnte. Das wollte, Frau Selbich habe der Tochter von Cresspahl eine Ohrfeige geknallt, und Gesine habe den Zahnarzt bemühen müssen. Das bestand darauf, nach dem Abzug der Schülerin Cresspahl sei es unruhig geworden in der Zehn A Zwei, die habe ja wohl Anhang, so daß Frau Selbich sich veranlaßt gesehen habe, ihren Stuhl auf den Lehrertisch zu stellen und dies Gebilde vermittels eines zweiten Stuhles zu erklimmen, zwecks Erlangung eines Überblicks; eine Ausstellung der Riepschlägerschen Waden und Oberschenkel. (Zu Bettinas Schaden sagte die Erzählung ihr hier nur nach, was sie getan hatte; Pius beschwor es.) Die vermeintliche Beschwerde verwandelte sich wundersam in eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, wegen Schülermißhandlung. Es hieß, Frau Selbich habe versucht, Cresspahls Tochter auszuziehen; keinen Ton gaben Pius und ich Auskunft. Aber oft und inständig wurde ich gegrüßt in der Stadt, wie ich mir das vorstelle für eine nette Fürstin in der Vorzeit, und in Jerichow hatte die Kunde vom Schülermut vor Rektorsthronen mich schon überholt. Bei Emma Senkpiel ging ich Milch holen, die trat mit der Kanne ins Hinterzimmer und gab sie mir schwerer zurück als gewöhnlich. (Zwölf Leute sahen zu, wie ich das geschenkte Gewicht an der Hand wog; alle wie lustige Verschworene.) Das kostete dann ein paar Mark mehr. Zu Hause fand Jakobs Mutter ein Dutzend Eier in der Milch; die Abschnitte für Eier wurden in den Maidekaden beliefert mit Margarine.
    – Gesine, du lüchst. Das sind meine explodierten Eier!
    – Sollst bedankt sein; sonst hätt ich sie ja vergessen.
    – Nun die Beschwerde.
    – Dicken Sieboldt paßte uns ab anderntags an der wilden Badestelle; früher war er öffentlich auf mich zugegangen auf dem Schulhof. Er hatte etwas Heimliches an sich, etwas Umsichtiges. Sprach mit allen, bis er mich allein hatte und auf die Seite nehmen konnte. Lobte mich ungemein, der Org.-Sekretär der Z. S. G. L.-F. D. J., weil ich Elise Bocks Bogen unbeschrieben in der Brusttasche trug und den Umschlag ohne Adresse; – dat’s ne Såk för min Mudder ehrn Sœhn: sagte er, ganz zuständig und vorbedacht; verschwieg mir, was anzustellen er gewillt war. Tat, als habe er mitten in seine säuberlichen Pläne eine unverhoffte Aufgabe bekommen, »unmöglich aber dankbar«. Dicken hieß er, weil er etwas Bulliges an sich hatte, bedrohlich für den Fremden, der unversehens sich in seiner Koppel sieht; für ihn war ich Cresspahl sin Gesin. Nahm es gern ungenau: wußte sein Leumund.
    – Gesine, wird es eine Wassertonnengeschichte?
    – Sei unbesorgt. Es war man bloß, Oma Rehse, die Bettina Selbich sich zugelegt hatte in ihrer neuen Herrlichkeit, die sagte ihre Zugehdienste auf; Bettina mußte selber saubermachen in ihrer Wohnung am Domhof. Die wurde ihr gekündigt; zwar gewann Bettina die Klage; aber es war nunmehr der Ton im Treppenhaus recht anders. Indem da ein Mülleimer so im Dunkeln aufgestellt war, daß Bettina ein bißchen hinfiel.
    – Ihr seid gemein.
    – Finde ich auch. Und Jakob, zwei Eisenbahnstunden entfernt in der Lokführerschule von Güstrow, der hatte damals längst seinen Jöche; Jöche machte ihm den Leutnant mit Vergnügen. Bettina hatte wenig Glück mit dem Verreisen auf der Eisenbahn. Die Schaffner sahen ihre Fahrkarte jeweils mißtrauischer an als die der anderen Reisenden, so daß die von ihr abrückten. Die Bahnpolizei ging achtlos durch einen ganzen Zug und griff sich Bettina heraus und prüfte ihren Personalausweis, ihren allein, mit offen gezeigtem Verdacht; wie sollten sie jemand von Angesicht kennen, der war zugezogen aus dem fernen Ludwigslust! Bettina wurde unachtsam; zwischen Schwerin und Gneez kam ihr das Billet abhanden. Das gab ein Protokoll im Hauptbahnhof Gneez: Welchen Eindruck macht die Reisende? einen fahrigen. Ist ihr die Tat (Erschleichung von Beförderungsleistungen) hinreichend zuzutrauen? die Reisende ist der Absicht verdächtig.
    – Hauptbahnhof.
    – Jawohl. Nebenstrecke nach Jerichow.
    – Wie sollte sie wissen, daß bei Cresspahls in Jerichow jemand gemeldet war von der Eisenbahn!
    – Den Faden der Ariadne spulte ihr ein anderer ab. Jemand, der etwas Wuchtiges an sich hatte.
    – Ach du meine weite Heimat.
    – Der Org.-Sekretär an der Fritz Reuter-Oberschule hatte Fragen der F. D. J.-Verwaltung zu

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