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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Magdalena dürfte vorher bestimmt sein, wer siegt.
    – Ich möchte ja bloß, du hättest mal gesiegt.
    – Hab ich. Mit so viel Längen wie ein Badeanzug aufweist.
    – Vertell. Du lüchst so schön!
    – »Jetzt kommt die Zeit der Erfolge«: hatte der Sachwalter im vorigen April gesagt, aber manchmal kamen keine Kohlen für den abendlichen Eisenbahnbetrieb nach Jerichow, wo mein Badeanzug für die Ostsee wartete. Wachte ich morgens auf bei Pagenkopfs, ging ich los mit meinem Badeanzug für den gneezer Stadtsee und schwamm da ein paar Hundertmeter, meist zusammen mit Pius, der hätte lieber länger geschlafen, der verlangte von sich die Tugenden des Chaperone. Wenn uns die Zeit zu knapp wurde für den Umweg zu Helene Pagenkopfs Wäscheleine, nahmen wir das nasse Zeug mit in die Schule. Es war Mai, die Fenster standen offen, auf dem Sims in der Sonne wurden die Sachen bis zur vierten Stunde trocken. Mit dem Gesicht zur Lehrkraft, da faßte ich manchmal nach draußen, betastete das nach frischem Wasser duftende Gewebe.
    – Und die Selbich hatte dich auf dem Kieker.
    – Vielleicht, weil mein Anblick sie erinnerte an eine Zeit und Gelegenheit, da war es ihr besser gegangen. Als sie mich erwischte, mit dem Unterarm auf der Fensterkante, rief sie mich auf und sagte allerhand Furioses über Leute, die Badezeug begrapschen, verwickelte sich auch in den Umstand, daß man beim Umziehen zum Schwimmen einen Augenblick lang nackt ist … während man euch von der Persönlichkeit des Genossen Stalin spricht, dem weisen Führer und Garanten des Weltfriedenslagers!
    – Euch.
    – Das meinte Pius und mich; obwohl die gneezer Badeanstalt getrennte Kabinen bereit hielt und vorschrieb. Pius war gleich halb hoch vom Stuhl.
    – Was für ein Anblick. Großer kräftiger Junge schlägt hilflose Neulehrerin ins Gesicht.
    – Es hätte ihn arg gereut. Ich hielt ihn mit der rechten Hand fest an der Jacke und tat mit den Lippen, als sagte ich ihm was. Wenn er es verstanden hat, war es »Kliefoth«. Denn Kliefoth hatte den Schuldienst quittiert, weil er 1939 einen Obersekundaner von zu dünnem Eis hatte holen wollen, der war aber in Uniform und brachte ein Verfahren in Gang: Sie haben das Ehrenkleid des Führers beleidigt, Herr Oberstudien. Bettina trug auch an diesem Tag ihr heraldisches Blaues, das zu attackieren hätte Pius am Ende das Abitur gekostet. Statt seiner stand die Schülerin Cresspahl auf, ließ den in seiner Männlichkeit verhinderten Pius hinter sich, ging ganz ebenmäßig auf Bettina Selbich zu, ohne jede Erlaubnis. Die bekam es mit der Angst, die rief: Setzen! und schließlich: Gesine, laß das!
    – Als ob sie dich wieder erkennte mit einem Mal.
    – Wenn aber die Zehnte Klasse Vorzüge hat, so daß die Schüler angeredet werden sollen mit Sie; ich konnte das überhören. Das andere war, das Anfassen eines Schülers ist untersagt.
    – Wenn ich doch erst in der Zehnten wäre.
    – Stellte mich dicht vor ihr auf, ein Mädchen vor dem anderen, blickte sie an so verbindlich ich konnte, sieh –
    – So freundlich du kannst, Gesine.
    – schürzte die Lippen ein wenig und zeigte ihr ein klitzekleines Stück von meiner Zungenspitze.
    – Von andern ungesehen.
    – Unbeweisbar. Sie allein hatte begriffen, was ich ihr da mitgeteilt hatte, so von Frau zu Frau, sie bebte im Blauhemd, als ich zur Tür ging und raus. Was Bettina war, die kreischte.
    – Das darf eine Schülerin der Zehnten überhören.
    – Und begibt sich, gänzlich von Würde umhüllt, ins Sekretariat der Schulleitung, wo sie sich von Elise Bock ein Blatt Papier erbittet samt Umschlag, auch von Elise eine Einladung zu Kaffee annimmt. Daraus machte das Gerücht später: Das F. D. J.-Mitglied Gesine Cresspahl hat bei der Z. S. G. L. der F. D. J.
    – Was für ein Tier?
    – bei der Zentralen SchulgruppenLeitung der F. D. J. eine Beschwerde eingereicht gegen das F. D. J.-Mitglied Bettina Selbich, die Frau Direktor (komm.). In Wahrheit versteckte ich mich im Kartenzimmer, damit Bettina nun auch noch fürchten mußte, ich sei auf die Straße gelaufen; pünktlich zu Beginn der nächsten Unterrichtsstunde stand ich hinter unserem Tisch. Pius lächelte wie Jakob das konnte: erleichtert, leise in den Augenwinkeln, von unten her blickend.
    – Bedankte sich.
    – Vergab mir, daß ich ihm das mannhafte Beschützen vermasselt hatte. Bange war uns. Denn bei der Frau Direktor stand ein Schrank voll Rundfunktechnik samt Mikrofon, die konnte mich über den Lautsprecher

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