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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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solcher Unterricht ausfallen als günstige Bewährung.
    – Selbich. Selbich.
    – Früher hatte Herr Dr. Kliefoth das mit uns veranstaltet.
    – Au Backe. Eine Fremde. Eine Junge. Eine Nachfolgerin. Schwerer Stand.
    – Deswegen können doch Siebzehnjährige sich einen guten Willen vornehmen und der neuen Frau Direktor nachsehen, daß die Würde ihres Amtes sie verhindert, die Tür des Klassenraums selber hinter sich zu schließen, und die Schwächste nickte sie sich heran zu diesem Dienst, Frau Lindsetters Nichte, Monika (»Peter«). Wir waren bereit zu Nachsicht, weil sie staksig ging, als hätte sie Schmerzen in den Füßen (– wie überhaupt keine Frau: flüsterte Pius), weil sie sich aufrecht hielt wie ein Befehlshaber vor der Front, und was konnte sie denn dafür, daß ihr das nachgewachsene Blond strähnig hing, außer daß sie es hätte bürsten können eine halbe Stunde am Morgen. Zehn A Zwei erhebt sich und blickt der Fachkraft Gegenwartskunde aufs Hemd. Denn sie trug zu einem braunen Rock das Blauhemd der F. D. J., komplett mit Achselklappen und Schild am Ärmel. Hier hätte Kliefoth eine entlassende Handbewegung vollführt, gewiß daß alle auf ihn achteten; diese besichtigte uns ziemlich lange, ehe sie sagte: Setzen! Und seit wann mag ich Quittenmarmelade?
    – Seit D. E. sie uns schicken läßt aus Lenzburg in der Schweiz, Gesine.
    – Ich will das durchgehen lassen. Weniger erbaut (als von dieser Konfitüre) war Zehn A Zwei von der ersten Frage der Lehrperson, in scharfem Ton gestellt, wieso wir denn ohne Ausnahme zivil bekleidet seien statt angetan mit dem stolzen Blauhemd der Freien Deutschen Jugend. Pius sah mich an, als wünsche er eine Auskunft, einen Rat. Ich ruckte mit dem Kopf, das hieß: Man los! Solche Verständigung gelang uns mittlerweile genau und rasch, die entging einem Pädagogenauge, oder war unnachweisbar. Denn ich wußte, Pius werde sie necken, und da ich sie erkannt hatte, hoffte ich auf sie als Partner in einem Spiel. Pius meldete sich, bekam ein strenges Nicken, stand auf und sprach, übertrieben mecklenburgisch: Das Blauhemd, das is unse Ehrnkleit. Das ziehn wir man bloß zu fesslichn Anlässn an. Und ähnlich falsch machte es die Wollenbergsche, würde es auch unterlassen haben, wär Frau Selbich ihr unbekannt vorgekommen. Lise faßte ungefragt nach, und ohne aufzustehen, vertraulich zitierte sie aus der Kleiderordnung: Unt denn hat Ein’ ja seltn ein’ schwaazn Rock füe alle Tage (mit Blick auf die braun gewandeten Hüften von Frau Direktor). Aber Bettina hatte mehr gewechselt als den Namen, die verstand auch keinen Spaß mehr, die sprach auch anders! mit einer harten Stimme, als wollte sie uns drohen, als wären wir Dreck –
    – Die Riepschlägersche?
    – Die Riepschlägersche, verheiratete und geschiedene Selbich, verlangte so gebieterisch wie ungeschickt nach »Ruhe!« sowie auch nach dem Ersten Vorsitzenden der F. D. J. in der Zehn A Zwei. Das war nun wieder Pius, und während sie uns einzuschüchtern bestrebt war mit dem Befinden, in unserer Klasse seien ja blamable Zustände eingerissen, ganze Haltung überprüfenswert –
    – Sauhaufen?
    – verwickelte Pius sie in eine umständliche Erörterung des enormen Geldes, das wir bezahlt hatten auf der Kreisleitung für jeder bloß ein Hemd, das trugen wir wohl zu Aufzügen, Umzügen und Jahresschlußversammlungen, aber schon für Einsätze in der Kartoffelernte sei es zu schade,
    Unsere blauen Hemden sind schwarz vom Schweiß
    und was die Mädchen in der Klasse angehe, so hätten die sämtlich Beschwerden mit dem ungefügen Schuhzeug, das zur Uniform gehöre. – Ich behalte mir vor, darauf zurückzukommen: kündigte die verwandelte Bettina an, als vermöge sie zu strafen. Die frühere Bettina hätte sich auf Land gerettet mit dem lächelnden Befehl, es habe uns eine jede Stunde mit ihr ein festlicher Anlaß zu sein. Alles hätte noch gut werden können.
    – Was doch so ein Lehrgang ausmacht.
    – Und eine gescheiterte Ehe. Und eine Kandidatur in der Partei. Und was weiß ich.
    – Hatte sie versch –
    – Hingeschmissen. Die Fuhre umgekippt. Und zum ersten Mal schüttelte Pius den Kopf, wenn ich ihm was erzählte: die sei auf der Grundschule eine Lustige, eine Kameradschaftliche gewesen, eine Vertrauensperson, bei der man gelernt habe bloß um ihrer Freundschaft willen; Pius machte ein Gesicht, als müsse er mich auswendig lernen ganz von vorn, und Sorgenfalten hatte er in der Stirn.
    – Lise Wollenberg aber

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