Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
veranstaltet, mitten im Sommer, dazu was die Herrschaften hernach anzufangen gedenken mit dem beschmutzten, dem kostbaren Gewürz, der Adel im Bewußtsein seiner Vollmacht: Erstens darf es nicht regnen. Nachher ist es noch gut genug pour les domestiques.
– Et pour la canaille: sagt einer; für das Volk, genannt der Pöbel. Weserich prägte uns ein, daß dieser Einfall vom jüngsten Kornett kam; mit Siebzehnjährigen dachten wir uns auszukennen.
Inzwischen gingen die Israeliten ins Land; Marlene Timm, unausweichlich »Tiny Tim« benamst trotz durchschnittlichen Wuchses, bekam eine amtliche Erlaubnis für die Ausreise zu Tantenverwandtschaft in Dänemark, viel bestaunt, und saß bei uns wie ein Gast nur; Axel Ohr wurde versorgt mit seinen fünf Jahren Zet; Jakob hatte in der Tat nur noch ein paar Lokomotiven bewegt, war strafversetzt gewesen auf Blockstellen zwischen Gneez und Ludwigslust, diente sich inzwischen hoch auf Lehrgängen in Dresden, an der Verkehrstechnischen Hochschule, die hätten ihn gut und gern annehmen dürfen als Vollstudenten; Jakobs Mutter bekam im März die westdeutsche Reise verweigert; Heinrich Cresspahl, Ziegeleiweg in Jerichow, wurde die Rente beschnitten, wegen treulich angemeldeter Einkünfte aus der Heilung von Truhen und sideboards; seine Tochter fuhr wahrhaftig nach Westberlin, ihm Schnitzmesser zu besorgen, solche mit ausfahrbarer Klinge; Oskar Tannebaum sandte einen »Petticoat« aus Paddington, was Cresspahl zufolge ein Bahnhof in London war; im Rathaus Richmond, in Cresspahls zugedachter Stadt war im November 1950 Picassos Friedenstaube in zweiter Fassung zu besichtigen; die Amerikaner wurden in Korea auf die Nase geschlagen; die Jahreszeiten gingen ihren Gang; immer noch lasen wir »Schach«. Schach!
Wir hatten herausgefunden, daß er unsichtbar blieb über einhundertdreißig Seiten hinweg; mit Absicht, wie wir zu Fontanes Gunsten annehmen wollten. »Schön« nennen ihn fast alle; deswegen eitel: befindet Josephine de Carayon. Bülow verhöhnt ihn als seine Majestät den Rittmeister von Schach. Victoire sieht an ihm etwas »konsistorialrätlich Feierliches«. In Haltungen wird er gelegentlich kenntlich: wenn er sich aufspielt als Mentor seines Regimentes und es abstreitet, wenn er beim Prinzen eine unnötig häßliche Auskunft gibt über Victoire, sich feige verkriecht im Treppenhaus vor der Mama, in Wuthenow vor der Pflicht; überhaupt sich beträgt, daß Josephine de Carayon die eigene Familie gegen seinen eingebildeten Obotritenadel zu halten versucht ist. Uns allen war sein Kneifen einsichtig und unerfindlich; Anita hatte das letzte Wort. Sie stotterte anfangs, über ein Wort stolperte sie; wir glaubten da Befangenheit zu hören, wie sie unter Siebzehnjährigen geläufig war. – Das mit dem Sch-schwängern: sagte Anita: das wolle sie sich gefallen lassen. An was sollten wir glauben als ein sprachliches Mißgeschick? Anita konnte beim Sprechen so allein vor sich hin denken wie sie war. – Aber daß er sich so wenig Mühe gibt (und muß sich von seinem König befehlen lassen, und von der Königin), daß er ein guter Mensch soll sein!
Es war ihr unterlaufen gegen ihren Willen und Wunsch; sie machte sich gefaßt auf unser Gelächter über das altmodische Wort. Wir genierten uns für sie; wir waren stolz auf sie. Wer weiß, bei Eva Matschinsky hätten wir gelacht; wegen Anita sahen wir vor uns hin, einverstandenes Nicken hab ich gesehen; und nie hat jemand außerhalb der Klasse erfahren, was Anitas Auffassung war von der Ehre eines Menschen.
– Es is das Regiment Gensdarmes bei der Heeresreform zwei Jahre später auch aufgelöst worden: sagte Saitschik, um das Schweigen zu kürzen. Der hatte bereuen gelernt, unser Dagobert mit seinen ollen Kamellen.
Eine Stunde Beratung über die beauté du diable, coquette, triviale, céleste und endlich fünftens die beauté, qui inspire seul du vrai sentiment. (Das einzig verlegene Mädchen hierbei: Lise.) Nach wem der Alexanderplatz in Berlin heißt, und wie ein Adelsmensch etwas anfängt mit einem blatternarbigen Mädchen, nachdem sein Prinz und hoher Herr sie ihm verklärt hat, so daß er eine beauté du diable erblicken kann in ihr.
Und spricht jener von Bülow am Ende das Urteil des Autors? Das ist doch bloß ein Knallkopp. (Bitte, möchte die Klasse ihren Lehrer aufklären über Knallköppe?) Um des Raisonnierens willen. Das hatten wir schon: der Erzähler Allwissend. Hier fand Lise Wollenberg, wieso Bülow abgetrennt von seinem
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