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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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im Konjunktiv als auch zwischen Anführungsstrichen zu bringen; Weserich hielt den Knaben mit Zwischenfragen bei Laune, obwohl er ihm regelmäßig recht gab. Aber in ihre Arbeitsgemeinschaft, wie auch Anita nun eine haben mußte von Amtes wegen, wo sie diesen Lockenvitz über Stunden hätte betrachten können und von dichte bei, nahm sie statt seiner solche Mädchen wie Peter (Monika), die sich schwer taten in Chemie und Mathe.
    Stand Weserich einmal still vor Lise Wollenbergs Tisch, statt seine zerstreuten Wanderungen zwischen uns zu betreiben, bekamen wir einen Anblick von dem Wort: sie hängt an seinen Lippen. Das tat sie, und wär wenig verblüfft gewesen, hätte er sie förmlich aus der Klasse gebeten und ihr angetragen sein Herz und seine Hand. Aber Weserich hatte wohl zu tun bekommen mit solchen Mädchen, die reißen den Kopf beim Lachen wiehernd hoch wie ein Fohlen; der hielt ihr erst im siebenten Monat unserer Kooperation über jemand aus dem Regimente Gensdarmes eine Rede, für sie allein.
    – Sehr geehrtes Fräulein Wollenberg! sagte er. - Sie blicken mir auf den Mund, als fehlte mir da etwas. Sie erwähnen die Farbe meiner Zähne in einer Lautstärke, die mich erreichen muß. Ich habe die Ehre Ihnen anzuvertrauen, daß mir um den Mund kein Haar wächst, weil das transplantierte Haut ist. Meine Zähne haben ein unnatürliches Aussehen, weil sie aus einer Fabrik sind. Sind das alle Ihre Fragen? Möchten Sie mir mitteilen, wo Sie in dieser Erzählung über einen Rittmeister von Schach (Sie erinnern sich) denjenigen vermuten, der sie vorträgt?
    – Nö: sagte Lise, bemüht patzig. Sie tat uns leid, das große blonde Kind, ertappt bei der Versuchung, mit einem Erwachsenen leichtfertig umzugehen (und treibet mit Entsetzen Scherz). Aber die Gegenwehr, wir gestanden sie dem Weserich zu nach den Verlegenheiten, die Lise dem Kollegen Hg. Knick angerichtet hatte.
    Mal ganz was Neues. Wer ist der Erzähler? Wie benimmt er sich in seiner Tätigkeit? Ist er bei allen Vorgängen zugegen gewesen? Hätten die Beteiligten das gewünscht, oder auch nur geduldet? Wann einmal sind sie außer Beobachtung? wenn sie Briefe schreiben. Sind diese fertig, teilt der Erzähler sie mit. Was unterläßt er mitzuteilen? Warum erfahren wir von der geklauten Liebesstunde nur durch zweimalige Verwendung des Pronomens der zweiten Person? Geschmack oder Takt; oder Lebenstüchtigkeit? Lockenvitz, für Ihre Sammlung stiften wir Ihnen ein apartes Wort, das wird Sie auf Flügeln tragen bis hinaus übers Abitur: der auktoriale Erzähler.
    Glatteis erkannte er, unser Herr Weserich; da stand er beiseite. Bülow, Stabskapitän aber auch politischer Schriftsteller, bekennt sich zu einem Abscheu gegen Lokale, im zitierenden Konjunktiv dem Schüler Lockenvitz zum Verdruß: darin ihm »Aufpasser und Kellner die Kehle zuschnürten«. Solche Lokale gab es in Gneez; längst wurden kaum noch Geburtstagsfeiern außerhalb gerichtet. Da konnte Mathias Weserich unbefangen tun; er kam aus Thüringen. In seinem ersten Auftritt mit Schach spricht Bülow von der unausweichlichen Ehe zwischen dem Staat und der Kirche; Weserich durfte uns leichthin auffordern, stets im zeitlichen Rahmen der Erzählung zu verbleiben. Wenn Victoire ihrer Lisette einen Brief stiftet, darin ist »Deine neue masurische Heimat« erwähnt; so wußte er zwar vor sich ein Kind, das hatte in jener Gegend eine Heimat verloren; besprochen wurde Victoires Anspruch an ihren Lebenslauf, wie er sich aus dem Brief ergibt; wie konnte der Lehrer ahnen, daß auch Anita sich vorkam als »auf ein bloßes Pflichtteil des Glücks gesetzte« Person. Das Schweigen bei dem Auftreten eines Infanterieregimentes namens »Möllendorf«, es darf ihm überhaupt entgangen sein.
    Wenn wir als einen Antrieb des Erzählens die Vielfalt und Energie der Beziehungen zwischen den handelnden Personen annehmen, was beginnen wir, nachdem wir Tante Marguerite in einen Mittelpunkt gesetzt haben?
    Auf das Sozialkritische, wie der Lehrplan der Neuen Schule es von unserem Herrn Weserich verlangte, hatte er ein Augenmerk. Zwei Stunden Aussprache über den Begriff der Ehre, die Haltung dazu; unehrenhafte Handlungen. Faßlich? Ein ideologischer Revisor auf Durchreise hätte gut und gern bei uns hospitieren dürfen, oder uns vernehmen in Weserichs Abwesenheit; seine Laufbahn wäre davon gekommen ohne Schaden. Fontane hatte der Erzählung Salz geliefert, auf dem das Regiment Gensdarmes eine Schlittenfahrt Unter den Linden

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