Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
studierte noch ein wenig an der Universität von Leipzig, dem ging die Zeit ab für Briefwechsel mit einem Schüler in Mecklenburg. Die Dissertation von Mathias Weserich über »Schach von Wuthenow« wurde in Göttingen gedruckt, jenseits der Grenze.
Daß er uns benutzte wie Biologen ihre Versuchskaninchen, wir hatten es gewußt, ohne Empörung. Wir waren auch mit ihm um die Wette geschwommen, Hundertmeter nach der Stoppuhr; ohne ihn durch mäßiges Tempo zu beschummeln. An seinen Hemden war zu sehen gewesen, daß keine Frau um die sich kümmerte. Und vielleicht waren Erwachsene so: hat einmal ein Schuß sie in den Mund getroffen, gehen sie einem zweiten aus dem Wege. Einen einzigen Anzug (grauen Sommerstoff) hatte er besessen, den trug er mit Tuch in der Brusttasche und täglicher Krawatte; als sei er uns den achtbaren Aufzug schuldig. Und wir hatten bei ihm das Deutsche lesen gelernt.
3. August, 1968 Sonnabend
Immer noch kann die N. Y. Times kein gemeinsames Mittagessen nachweisen für Leonid Breshnew und Alexander Dubček, aber das wenigstens kann sie uns von ihnen berichten, wegen des atlantischen Unterschiedes in der Zeit: Die beiden haben einander heute morgen im Bahnhof von Bratislava umarmt. Wie die Tante hört, ist Breshnew freundlich gestimmt durch schriftliches Zureden von seiten der Führer dreier kommunistischer Parteien: der jugoslawischen, der italienischen, der französischen.
Wie aber die ostdeutschen Führer die Tschechen und Slowaken bedrohen mit Speichelleckerei wegen der überwältigenden Militärmacht der Sowjets, es ist ein Anblick zum Wegsehen.
Die Hubschrauber dürfen wieder fliegen vom Turm über dem Bahnhof Grand Central zu den Flughäfen der Stadt. Bei Mailand ist ein Douglas-Clipper vom Typ acht abgestürzt; fünfzehn Tote. Wir fliegen auch bald.
Charlie in seinem Guten EßGeschäft; er sieht doch kaum aus nach teurem Freizeitsport, wenn er zwei Stunden lang gebraten hat und gekocht. Kommt man mit so unebenmäßig geschnittenen gelben Haarstrubbeln in einen Club? Seine Kunden, die tragen das Hemd über der Hose, in einem Holzfällerbunt sind sie bedruckt und auch ein wenig angeschmutzt. Heute morgen haben die Herren einander in allem Ernste gefrotzelt mit ihren Handicaps im Golf.
Das ist das Amerikanisch, das uns abgehen wird: Marie bestellte sich einen Klops in der Jacke mit einer Zwiebelscheibe dazu. Was ruft Charlie zum heißen Blech hinüber? – Burger takes slice! Do it special for my special lady, mind! und Marie blickt vor sich hin so verlegen wie es ihr ansteht. Und stolz, weil sie dazugehört.
Eine Botschaft am Niedergang zur Subway:
√RADICAL
is a state of mind.
Und als ob ein Einbruch unschicklich wäre bei Leuten, die sind zwei Autostunden aus der Stadt, haben wir die Zeit vom Morgen bis zum frühen Nachmittag auf der Jones Beach verbracht; dank der Familie Blumenroth; da dieser Staatspark nur Leuten mit Autos zugänglich ist. Mr. Blumenroth, rot verfärbt unter seinen dünnen krülligen Haaren, mag dem Haushalte Cresspahl eine neue Redensart gestiftet haben: There is a reason for everything!
Daß es für alles einen Grund gebe, diese aberwitzige Wissenschaft hat er ausgesprochen, nachdem er seine Aufsicht als ausreichend erachtete für Pamelas Spiele über und unter der Luftmatratze. Als sie zwanzig Meter nach draußen getrieben war, ging Mrs. Cresspahl mit ihm retten. (Die ist einmal in der Ostsee drei Stunden lang einem Ball nachgeschwommen, aus Eigensinn. Welle nach Welle brachte der zwischen sich und sie, bis er abtrieb nach Dänemark.) Pamela hatte es lange schwer, mit der Beschlagnahme des Spielzeugs sich abzufinden als etwas Erwachsenem; ihr Vater sah noch lange dumm aus vor Vernünftigkeit, solche Angst hatte er ausgestanden. Erst nach einer Weile begann er von neuem mit den Seitenblicken, die uns erinnern sollten an unsere Sitzungen vor der Bar des Hotels Marseille; Mrs. Blumenroth hatte ihre liebe Not, die Darbietungen ihres Mannes zu übersehen. Und damit es ihm zu sagen verwehrt sei, sprach sie selber aus: Auf den Busen können Sie sich was einbilden, Mrs. Cresspahl.
– Danke auch vielmals: erwiderte die, in der amerikanischen Art, und fand sie zur Abwechslung einmal beschwerlich.
Was wissen wir von Mrs. Blumenroth?
Jahrgang 1929. »Ich komme aus den Karpaten.« Ja sie ist geholt worden von den Deutschen. Ohne etwas mitnehmen zu dürfen. Die Kleider, schon.
Ankunft in New York 1947, Heirat 1948. Die Angst, unfruchtbar gemacht zu sein. Pamela,
Weitere Kostenlose Bücher