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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Erfinder zu bewerten sei: wegen der feinsten weißen Wäsche, »worin Bülow keineswegs exzellierte«.
    Wir kommen zum Ende. Wir sahen es daran, daß Weserich uns wieder an den Anfang führte, mit festlicher Miene: zum Titel. Grundsätzlich war uns untersagt, die Briefe Fontanes zu konsultieren (– Erklärungen einer Absicht sind keine Auskunft über das Werk); einen zitierte er uns, den vom 5. November 1882, der Erwägungen über den Titel der Erzählung anstellt: »1806; Vor Jena; Et dissipati sunt; Gezählt, gewogen und hinweggetan; Vor dem Niedergang (Fall, Sturz).« Was hatte die Elf A Zwei im April 1951 dem Herrn Weserich für die Wahl des endgültigen Titels anzuführen?
    – Weil ein Personenname immer die ehrlichste Ankündigung ist: Lockenvitz (hatte er von Th. Mann).
    – Weil die anderen fast alle ein Urteil enthalten, dem Leser sein eigenes vorwegnehmen. Fontane wünschte seine Leser unabhängig! unterrichtete uns Weserich, und nun sollte es anfangen mit dem Genuß und der Freude, eine Erzählung von Th. Fontane aus dem Jahre 1806 noch einmal und wieder zu lesen.
    Das verdarben wir uns. Lockenvitz, der vermasselte es. Wir waren mitschuldig. Lockenvitz, nunmehr Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf/Cresspahl, fragte uns nebenbei, ob Herr Weserich wohl selber eine Prüfung aushalte. Es ist wahr, wir gaben ihm die Erlaubnis; sahen aber lediglich voraus, dieser Schüler werde noch einmal sich über Fontane beschweren, den ersten Satz zum Beispiel, den Schluckauf, den man da bekommen konnte von einem Partizip des Präsens.
    Was Lockenvitz anbrachte, gleich nach den Osterlämmern, war eine Zeitschrift aus der halben Hauptstadt, mit farbiger Bauchbinde, Form hieß sie, oder Sinn, die Botschaft der ostdeutschen Staatskultur an den Rest der Welt, darin schrieb der amtierende Fachmann für sozialistische Theorie in der Literatur, Heft 2, Seite 44-93 über Fontanes »Schach von Wuthenow«: die Erzählung sei ein »Geschenk des Zufalls«. Die darin geübte Kritik am preußischen Wert sei »absichtslos«, sei »unbewußt«.
    Lockenvitz hatte die Genehmigung zur Verlesung gegen Ende der Deutschstunde erbeten, seinem Herrn Weserich ja eine Verlegenheit vor der Klasse zu ersparen. Der hörte zu, den Mund viereckig geöffnet, als horche er einem Schmerz nach. Bedankte sich, lieh das kostbar gedruckte Heft aus, stakte aus dem Raum auf seinem einen Bein. (Wenn der Rest des anderen ihn aigrierte, hatte er schon mal jenen Vers ausgesprochen von einem Knie, das geht einsam durch die Welt, es ist ein Knie, sonst nichts.)
    Eine Woche war er auswärts. Praktikanten dürfen dienstlich verreisen wie andere Lehrer auch: dachte die Elf A Zwei. Der zurückkam, dem waren wir widerlich.
    »Schach« wurde abgesetzt. Den Rest des Mai, den Juni, raste er mit dieser Klasse durch den Roman »Frau Jenny Treibel«, wir hatten zwei Wochen übrig am Ende des Schuljahrs. Der hörte uns noch an, wenn wir ihm zwischen die Rede kamen mit unserer; der nickte wie über Erwartetes. Verbat sich, was er »Scherze« nannte. Der Ofen war aus; das Ei kaputt; das Gericht gegessen.
    Lockenvitz war kleinlaut, geknickt. Ob er in der Tat auf ein Duell gehofft hatte zwischen einer Schulklasse in Mecklenburg und einem Großdialektiker; es war ihm schief geraten. Er gab sich Mühe, er bat etwas nachzutragen über den Grafen Mirabeau, nach dem Victoire de Carayon sich Mirabelle nannte: nach dem Tode dieses Revolutionärs seien die Belege gefunden worden von Zahlungen aus der Kasse des französischen Königs; das Verbringen der besudelten Asche aus dem Panthéon müsse doch 1806 bekannt gewesen sein? – Dein Herwegh ist auch so einer: sagte Weserich trocken. (Herwegh wird an Treibels gastlicher Tafel ein wenig ohne Erbarmen behandelt.) – Stellt sich groß an die Spitze der badischen Arbeiteraufstände von 1849; als es aber schief ging, floh er als Tagelöhner verkleidet über die französische Grenze!
    An dem du, das in dem »dein« steckte, würgte Lockenvitz eher, als daß es ihn hätte erfreuen können. Dies Widerspruchskind, wir sahen ihn schlucken. Schlug die Augen nieder, setzte sich wortlos.
    Lockenvitz schrieb zwanzig Seiten Aufsatz über »Schach von Wuthenow«, unberaten, unbefohlen, und schickte sie dem Deutschlehrer Weserich nach in die Ferien; erst nach Jahren konnte er von neuem stolz sein auf die Entdeckung, daß Fontane dem Schach an keiner Stelle einen Vornamen gibt, gewiß nach adliger Sitte, dennoch Anmerkung zur Person. Unser Weserich

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