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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Haus, das man unter einem Baldachin hindurch betritt, an einem Portier vorbei; wir haben bloß drei Zimmer, wir sehen den Park von unterhalb der Baumkronen, uns bewacht kein Livrierter. Es sind denn doch die Einkünfte schlecht vergleichbar, Einladungen wie die ihren könnten wir kaum vergelten; so ist eine verträgliche Nachbarschaft einer Freundschaft vorzuziehen, in der der eine Teil sich quält. In Gesellschaft, in der wir haben fehlen müssen, kann Mrs. Carpenter Bewunderung äußern für allein stehende Mütter mit einem Kind, die Jahr für Jahr mit Arbeit bewältigen, wie etwa Mrs. Cresspahl, so eine Frau möchte sie sein; wenn sie eben nur frei käme von dem Verdacht, diese Mrs. Cresspahl führe solch Leben einer verquasten Ideologie von weiblicher Emanzipation zuliebe, statt um seiner selbst willen. Was sie uns zugute halten will, ist noch die europäische Herkunft; nur besteht ihr Europa aus Frankreich, Monaco und Spanien; unsere Gegend ist ihr etwas verdächtiger als Jugoslawien. Nein, sie besteht nicht weiter auf Freundschaft. Nachbarschaft tut es auch.
    Heute sollte Mrs. Cresspahl ihre Tochter abholen von einem Kindergeburtstag bei Pamela. Manchmal besteht Marie auf solchen Förmlichkeiten, will die Mutter vorzeigen in den besten Sachen und, bitte, mit einer Brosche am Hals. Nach der Arbeit umziehen, rauf den Riverside Drive, Fahrstuhl in den zwölften Stock. Durch die halb offene Tür von Blumenroths Wohnzimmer war Ginny zu sehen, die tat vier Dinge zur fast gleichen Zeit.
    Sie kostete nach, was sie eben durch den Raum gestreut hatte: Ganz reizend; nein,wie umwerfend; Sie sehen aus wie der Juni in Person; etc.
    Sie saß auf der Kante des Sofas und aß Kuchen, die hohle Hand unterm Kinn, um ihr Rotseidenes von Lord & Taylor zu schützen; ihrer strammen Stirn war die Erwägung anzusehen, daß sie mit einem ausführlichen Besuch bei (zwar vermögenden) Juden mal wieder eine tolle Toleranz vorführe; wem sie das erzählen dürfe und wem besser vorenthalten, schließlich die schlingende Neugier: ob diese Kekse wohl koscher seien.
    Sie dozierte: In zwanzig Jahren werden die Neger aus Manhattan vertrieben sein. Wir werden auf einer rein weißen Insel leben, umgeben von den schwarzen Bezirken, Bronx, Queens, Kings. Nein, Richmond, das ist noch unentschieden. Ganz einfach, durch ökonomische Faktoren. Denn unsere entzückenden Brownstones, der kostbare vierstöckige Sandstein in den numerierten Straßen, zu welcher Bestimmung kann er zurückkehren sollen als in die alte, die der luxuriösen Häuser für jeweils eine Familie ganz für sich?
    Sie befingerte Maries Bluse, die durchgenähte Knopfleiste, die doppelte Naht entlang am button down-Kragen, es kam ihr unamerikanisch vor; mit einem Mal zog sie dem Kind das Tuch aus dem Nacken, fingerte nach dem Etikett, buchstabierte erschüttert am Etikett aus Genf.
    Wie Mrs. Cresspahl ihr Kind da rauswinkte, es ist ihr entfallen. Wie sie an der verblüfften Gastgeberin vorbeikam, sie wird es entschuldigen müssen. Als die Fahrstuhltüren vor ihr zuklappten, fing sie an zu lachen. Zwölf Stockwerke lang fiel sie lachend nach unten, zum ernsten Befremden Maries, und gleich auf dem Bürgersteig verlangte das Kind nach einer Aufklärung, damit die Mutter abgehalten werde vom Weiterlachen, so in der Öffentlichkeit. Aber, können vor Lachen.
    Ich will dir mal was sagen, du Schriftsteller.
    Gelacht haben Sie, Mrs. Cresspahl, du, Gesine. Hast du.
    Es mag ja stimmen. Aber nicht nur dies eine Mal.
    Das mag auch stimmen, Mrs. Cresspahl.
    Ein Jahr hab ich dir gegeben. So unser Vertrag. Nun beschreibe das Jahr.
    Und was vor dem Jahr war.
    Keine Ausflüchte!
    Wie es kam zu dem Jahr.
    In diesem verabredeten Jahr, seit dem 20. August 1967, war ich mit Ginny Carpenter zusammen: Auf Jones Beach, zweimal. In der Philharmonie, dreimal. Haben wir uns zum Essen in der Stadt getroffen: einmal. Hat sie mir ihren Wagen geliehen: nein, das zerschlug sich.
    Da war es doch billiger, ein Auto zu mieten, als ihr was schuldig zu sein.
    (Das ist nicht raus.) Sie gehört zu meinem täglichen Leben.
    Nicht auf dem Broadway: sie läßt sich ihr Fleisch von Schustek schicken. Nicht in der Ubahn: in der ist sie noch nie gefahren. Wenn die Italienische Delegation dich einlädt, bringst du sie nicht mit. Du fürchtest doch, sie stellt was Genierliches an.
    Ach was. Es ist wie mit der Sache vom vorigen Donnerstag. Wenn du einmal was zeigen willst vom Einkaufen, muß da gleich ein betrunkener Neger über mich

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