Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
beliebig den Willen tat. (Sie konnten um so leichter Komplizen werden, als Mrs. Carpenter kein eigenes Kind hat. Vorläufig nicht gebären möchte.) Marie ging dahin, vorgeblich zum Fernsehen; sie wollte auch nachprüfen, wie das ist: Leben mit einem Vater. Wenn Mr. Carpenter nach Hause kommt aus seiner Kanzlei, fängt die Arbeit erst an: jeden Abend neu beseligt steht eine junge Frau an der Tür, etwas überrötet von hausfraulichem Eifer; behaglich und sauber warten die Möbel, die er so aufwendig für eine dritte Ehe gar nicht gewünscht hat, am Fenster zum Hudson warten die Highballs, frisch, in seiner bevorzugten Temperatur. Nun muß er ran. Erzählen aus dem Büro. Wie Elman heute war. Ob Burns ihm über Elman noch die Grundstückssache gegen die Nationalgarde zuschieben will. Carpenter, Oberst der Reserve, wird überschüttet mit Ereignissen des Haushalts und solchen, die die New York Times ihm bereits gesteckt hat. Die Liebkosungen fallen sämtlich aus, wie Kinder sie ohne Schaden ansehen dürfen. Er kommt gut weg, wenn sie keine Party beschlossen hat, fünfzehn Leute mal kurz vor dem Abendessen, eine Aufmerksamkeit für durchreisende Bekanntschaft oder einen Intellektuellen aus Europa; gerade dann muß er sich glücklich preisen, denn die lebhafteste Stimme ist die seiner Frau, ein Geräusch, das seiner Anmut inne ist. Unermüdlich heiter kreiselt sie die Gäste um einander, beschleunigt sie mit zärtlichen Zuteilungen feinen Alkohols, verwandelt sie sich in die inbrünstige Studentin von ehemals, Hauptfach Philosophie und Soziologie, unerreichbar in traulicher Zweisamkeit an der Kaminecke, blicklos entschwunden in die gelehrte Besprechung eines Artikels in International Affairs, welche Zeitschrift in diesem Salon gleich berechtigt ausliegt neben Cosmopolitan, Newsweek oder Saturday Review. Der Playboy liegt nicht aus. Es ist ein Haushalt nach strenger wie großzügiger Regel; die Gäste bestätigen einander das noch auf dem Bürgersteig; nur daß wir dorthin nicht gingen, eine Prise Salz zu leihen. Das Carpentersche Dienstmädchen, aus einem Dorf in den Alleghenies, sieht der Dame des Hauses schon nach zwei Jahren ähnlich; das macht die Jugend nicht allein. Jene blanke Isobel wird dort bleiben wollen nicht der Halbwaise Marcia zuliebe, die hält sich das Kind eher vom Leibe. Tessie, die uns einmal half, würde keinen Fuß setzen in jenes Appartement. Dabei ist Tessie eine Untertanin Ihrer Königlich Britischen Majestät; sie mag in der Bronx wohnen, ihr kann es egal sein, was für Befunde Mrs. Carpenter über die dunkelhäutige Rasse als solche ausspricht.
Unzweifelhaft ist Ginny Carpenter eine Großmacht in unserer Gegend, ein Pfeiler unserer Nachbarschaft. Wenn es dem Gouverneur Rockefeller einfiele, daß solch Riverside Park ihm gar nichts nützt und viel günstiger eine achtbahnige Autobahn abgäbe für nichts als Lastwagen, binnen drei Tagen hätte Ginny die Wählscheibenfeder ihres Telefons ruiniert, durch vorschriftsmäßigen Gebrauch, was im menschlichen Leben sonst unerhört ist, und ein felsenfestes Komitee stünde da, ein grimmiges Wort aus den Abkürzungen von Rettet Unseren Riverside Park, da würde Rocky ganz hübsch bange. Sie amtiert als Mitglied in fast allen Vereinen, die sich bekümmern um die äußere Schönheit unseres Viertels, sei es die Großzahnespe an der 119. Straße oder ein zertretener Abfallkorb an der Uferpromenade. Denn solche Wirtschaft wie die seiner Frau könnte ein in Maßen ehrlicher Rechtsanwalt schwerlich bezahlen auf der Ostseite von Manhattan, wo sie allerdings standesgemäß wäre; folglich lebt Mrs. Carpenter bei uns wegen des Baumbestandes, wegen der Sonnenuntergänge jenseits des Hudson und, nicht zu vergessen, wegen der unvergleichlichen Mischung der hiesigen Leute, deren Sinn für Gemeinschaft sie schwerlich erwarten könne in den seelenlosen Schubladentürmen östlich der Fifth Avenue. – Nie! sagt sie, und stampft ein wenig auf mit ihrem langen Fuß. Tatsächlich, wenn sie uns erwischt zu Fuß auf dem Riverside Drive, sie setzt ihr Cabriolet eigens zurück für uns ($ 6780,00), unterhält uns während der Fahrt mit den eleganten Empfindlichkeiten solchen Automobils und stoppt unverlegen vor unseren grau gestrichenen Treppenstufen, wo sogar ein Teppich fehlt. – Wir sind doch Nachbarn: ruft sie strahlend, ein gutartiges, ein immer neu von Herzen erfreutes Kind.
Gewiß ist sie ehrlich. Es dauerte nicht lange, da fiel ihr etwas auf. Wir wohnen in keinem
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