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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Schritten zu erreichen, benimmt sich wie die lokale Idee von Downtown (zu singen), und ist der Schauplatz einer Parade, die polnische Bauernkleidung karikiert. Das heißt P. A. T. H., das sollte doch bekannt sein. Van Cortlandt Straat, dann links. Yours, truly, D. E.
    Bei klirrendem Eiseswetter sind wir zu D. E. gefahren, unter dem Hudson hindurch in eine verschorfte, mit unverweslichen Abfällen überladene Landschaft an verfaulenden Flusses Rand. In Newark hatte D. E. seine polnische Parade zu zeigen, mit exakt marschierenden Teilnehmern von dunkler Hautfarbe; danach einen Keller, in dem Erbsensuppe serviert wurde mit Schinkenstückchen, à la Mecklenburg. Wie war Herr Professor Dr. Erichson zufrieden, als wir die zweiten Teller bestellten! Was hat es ihn amüsiert, daß eine Mutter eben den Augenblick weiß, da einem durchgefrorenen Kind im Warmen die Nase zu rinnen beginnt; vertrauensselig steckte Marie ihr Gesicht ins bereit gehaltene Taschentuch. Gefreut hat D. E. sich über uns, das auch.
    Es ist eine unwirsche Frau Erichson, die einen Flügel öffnet in D. E.s gediegenem Bauernhaus. Steif die Miene, steif gesträubt die glatten weißen Haare unter ihrer schwarzen Reiterkappe. Schwarz die Jacke, die Hosen, die Stiefel, die Schleife im Blusenkragen. Sie hat schon einen Besuch gehabt an diesem Tag, von Herren zu zweit in sportlichen Jacketts, die holten etwas an einer Kette aus der Hosentasche und versteckten es gleich wieder, als hätten sie ihr es in der Tat gezeigt. Die wünschten das Arbeitszimmer D. E.s zu besichtigen, auch wohl ein wenig zu durchwühlen; denen hat sie die Tür gewiesen. Nun ist sie unmutig, ein wenig ängstlich. Denn in einem fremden Lande, man müßte den Abgesandten der Behörden Folgsamkeit erweisen, was sagst du, Gesine?
    Daß sie nach ihren Rechten gehandelt hat, sie hört es erleichtert. Widerstrebend, denn sie hat zum Reiten wollen, führt sie den zweiten Besuch des Tages über den Flur, öffnet die Tür zur Küche, läßt erstaunt sich ins Wohnzimmer geleiten, in einem Sessel sicher unterbringen, damit sie vor Sturz gesichert ist in dem Moment der Neuigkeit, daß ihr einziger Sohn, die Mitte und der Stolz ihres alten Lebens, angeblich und nach Hörensagen in Nordosteuropa zu Tode gekommen ist in einem Fluggerät, das zu bewegen er seit vier Jahren versteht. Sie sitzt wie bereit für eine Hinrichtung. Es folgt der Schlag, das Knicken im Nacken, das Absacken des Körpers, der ihn verkleinert.
     
    – Glöwst du dat, Gesine?
    – Ick sall. Ick möt.
    – Verbrennt un inbuddelt un nu nicks mihr?
    – Hei wull dat so.
    – Nu kannst mi ook ünner de Ierd bringen.
    – Du liwwst noch lang. Wierst ünnerwægens un wullst ein Pierd dat Fürchtn liehrn. Du möst up sin Såkn uppassen.
    – Ick hew doch Post von em, schræwn’ an Sündag!
    – Stempelt.
    – Schræwn, sühst?
    – Ick seih’t. Œwe dat is din Sœhn sin Rechtsanwalt, de seggt –
    – Hast den Erbschein bei, Gesine?
    – Nu lat dat doch.
    – Du warst ne oll Fru dat Hus låtn.
    – Kannst biholln alltied.
    – Gesine, bist schwanger?
    – Bin’ck nich.
    – Det di dat leed?
    – Wo kann ick no eins n Kind uptrekken åhn em.
    – Lütt Marie, wo höllt se’t ut?
    – Ick hew Angst, ehr dat to –
    – Kœnt ji bi mi lewn kåmn?
    – Wi mötn na Prag.
    – Hei is man ebn dot.
    – Hei harr dat so wullt: ierst de Såk farrich makn.
    – Jå. So is hei. Un wenn ji Prag dœrch hewt?
    – Marie möt in de Schaul. Kåm du doch na New York.
    – Dat is so wiet wech von em. Wat, du geihst?
    – Butn töwt dat Taxi. Ick möt den Bus kriegn. To Hus töwt Marie. Kannst doch mitkåmn.
    – Né. Denn gå ick ridn.
     
    Im Frühjahr 1951 meldete Robert Pius Pagenkopf sich zur Bewaffneten Volkspolizei, zum Aero-Club in Cottbus. Er war der einzige unter den dreihundertsiebzig Oberschülern zu jener Zeit; neuerdings verließen viele die Schule nach der Elften Klasse, deren Abschluß viele Eltern noch für gleichwertig hielten mit dem Einjährigen von ehedem. Die entschieden sich für den deutschen Westen, meist ohne viel Ahnung, daß sie dort einer Wehrpflicht in die Arme liefen. Pius stellte sich auf die andere Seite. Da wir eben bloß taten wie ein Ehepaar, hatte er dies für sich allein entschieden.
    Ick wull allein sin, Gesine.
    Pius, wenn ick je din Rauh stört hew –
    Låt man Gesine. Du wierst richtich fœ mi.
    Pius, ich harr –
    Is doch gaud. Bloß daß ich die Mädchen später messen werd an dir, und das war zu meinem

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