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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Schaden. Heiraten is schlecht, Gesine.
    Hest mi allein sittn låtn, an unsn Tisch.
    Nach dem Abitur wärst du deine Wege gegangen, an meinen vorbei. Die Trennung sah ich voraus, da schnitt ich lieber selber.
    Um allein zu sein.
    Gesine, alln dissn Schiet und Friedenskrampf, da hatten sie doch recht, die Zwillinge Sieboldt und Gollantz.
    Als ob es keinen Politunterricht geben würde bei der Armee.
    Da ist es Dienst, Gesine. In der Armee muß der Vorgesetzte mir glauben, was ich ihm aufsage, und keiner im Glied darf zweifeln, daß ich das glaube. Dann ist das Zwinkern weg, das kaputte Lächeln, das deine Lüge überführt und belobigt in einem. Dann darf ich denken was ich will, und keiner wird es erfahren.
    So hast du nie mehr einen Freund, Pius.
    Ich dachte du bleibst mir, Gesine. Das ist uns ja gelungen.
    Und was hattest du dir vorgenommen für den Fall eines Krieges?
    Dazu mußte ich an jene Stelle, wo auf den Knopf gedrückt wird. Denn was ich schließlich anfange mit der Maschine, das bestimme ich als Kommandeur allein.
    Drei ganze Jahre umfaßte Pius’ erste Verpflichtung; um unseren Tisch hing ein kalter Glanz, von dem blieb viel übrig für die Schülerin Cresspahl, während sie das letzte Schuljahr allein absaß in der Zwölf A Zwei, in einem viel kleineren Zimmer im dritten Stock, eine von fünfzehn, allein an einem Tisch, mit Fensterblick auf Dom und Hof. Wir redeten Pius zu, doch zu bleiben bis zum Abitur. Selbst seinem Vater, dem verdienten Funktionär in der Parteiverwaltung von Schwerin, so reichlich für sein Ansehen die neue »gesellschaftliche Betätigung« seines Sohnes sich nutzen ließ, sie machte ihm Angst. So kann man einen Sohn verlieren. Helene Pagenkopf blieb Wochen lang am Weinen; wenn Pius die Frau in den Arm nahm und ihr die Schultern streichelte, war zu sehen wie groß er nun gewachsen war. Sechs Fuß war er hoch, und dann noch ein paar Zoll. Wenn wir ihm sprachen von den Vorzügen einer abschließenden Bescheinigung für Kenntnisse in den Wissenschaften des Geistes und der Natur, lächelte er, weil wir daran noch glaubten. Daß die Wissenschaft vom Gebiß des Pferdes, zum Beispiel, einem Schüler behilflich sein könne im späteren Leben, etwa. Was er an Physik je benötigte in kommenden Jahren, die Luftwaffe würde ihn damit versehen. Der Schüler Lockenvitz beneidete den Jugendfreund Pagenkopf um das Taktische an seinem Einfall; weniger die Sache selbst, die war ihm verschlossen, seiner Augen wegen. Dennoch redete er Pius zu, den Wert eines Großen Latinums zu bedenken, anerkannt bei den Universitäten aller Länder; dann blickte Pius streng, hielt die schwärzlichen Augenbrauen starr, als fühle er sich belästigt.
    Pius’ Entschluß, er vergoldete die Lernziele der Neuen Schule so einmalig, so rar, er hätte es sachte angehen lassen dürfen mit dem Lernen und dennoch ins Abgangszeugnis die Noten bekommen, auf denen er im Januar stand. Aber Lässigkeit und Pius, das waren zwei verschiedene Eigenschaften. Pius hielt sich an das Pensum, und damit die Schülerin Cresspahl in der Gewohnheit des Arbeitens, das das Lernen sein soll in der Jugend. Nur wußte er seine Zukunft, das gab ihm einen Blick weit über die Schule hinaus. In einer neunten Klasse 1951 veranstaltete die F. D. J. einen Wettbewerb im Verkaufen ihrer Zeitung, der Jungen Welt; den Preis gewann ein findiges Bürschchen, das seinen Packen bei Fischhändler Abel in der Straße der Nationalen Einheit absetzte, wobei er zwar zuzahlte, aber doch die Belästigungen von Passanten vermied. Es war Tagesgespräch an der Schule. Pius zuckte die Achseln. Dann kam man sich vor wie ein Kind neben ihm. In der Elf A Eins gab es einen Jungen namens Eckart Pingel, der bekannte im Fach Gegenwartskunde: In der Sowjetunion haben sie auch die größten Schweine! Nun sollte er einen Knopf runter kommen in der Klasse; Bettina Selbich beantragte ein Disziplinarverfahren. Nur war Oll Pingel kein beliebiger Vater, sondern Sägemeister bei Panzenhagen, proletarischer Adel; unter den Arbeitern von Gneez wurde besprochen, daß Pingel sein Eckart von der Schule geschmissen werden soll, bloß weil er die Wahrheit gesagt hat. Deswegen durfte er sich vor der Lehrerkonferenz herausreden auf die sowjetischen Zuchterfolge am gemeinen Hausschwein. Bettina sagte ihm die Ausflucht auf den Kopf zu; jetzt konnte er vorlesen aus dem Lehrbuch, das seine Klasse ihm aufgestöbert hatte (seine Schulklasse). Zwar vermied Eckart Pingel, seine wissenschaftliche

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