Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Englisch-Texten, versteckt in einer verrotteten Aulabank. Hier müssen wir billiger Weise beginnen zu schweigen, da die meisten der Beteiligten (Betroffenen) noch leben, wo sie das Zeugnis ihrer Befähigung erwarben.
Das erste Abitur, das war der letzte Besuch bei dem Schüler Lockenvitz gewesen, am 15. Mai 1952.
Das zweite war datiert vom 25. Juni und gab als allgemeine Beurteilung:
G. C. ist eine gewissenhafte, zuverlässige Schülerin gewesen, die selbständig und gründlich gearbeitet hat. Ihre Initiative hat vorbildlich auf ihre Klassengefährten gewirkt.
Zur gesellschaftlichen Tätigkeit:
G. C. ist seit dem 10. 9. 1949 Mitglied der F. D. J. Sie leistete gute organisatorische Arbeit. Sie bemühte sich durchaus mit Erfolg in weltanschaulichen Fragen Klarheit zu gewinnen.
Lizenz-Nummer: Zc208-25 3 52 5961-D/V/4/ 59-FZ 501.
Da war sie wieder, die Weltanschauung, die verpönte. Frau Habelschwerdt hatte büßen müssen für ein verfehltes Wort. Die Neue Schule, die Alten Wörter. Von nun aus kenn sich aus, wer das muß und Lust hat.
Das dritte Abitur, es wurde in Jerichow abgehalten.
Da fuhr in den letzten Junitagen Cresspahls Tochter vom Baden in der Ostsee auf der Rander Chaussee nach Hause, zu der sonderbaren Zeit von etwa siebzehn Uhr, da hören ehemalige Oberstudienräte für Englisch und Latein auf mit ihrer Arbeit in den Kleingärten hinterm Neuen Friedhof und begeben sich heimwärts, ihren Tee zu bereiten, wie sie sich das angenommen haben in Universitätsjahren zu London und Birmingham. Da schritt ein alter Mann fürbaß, in zerrissenem Oberhemd, Harke und Hacke auf der Schulter, dem bot die ehemalige Oberschülerin Cresspahl eine Tageszeit so schüchtern, wie ihr zumute war. Der tat ihr Bescheid wie vor zwei Jahren; tat entsetzt, als das Kind sich anschickte, abzusteigen und ein Stück Weges ihn zu begleiten. Er wies es von sich; um eine Verzeihung für seinen unschicklichen Aufzug bat er das gnädige Fräulein.
Daß er ihr ja aus den Augen komme, schickte er sie voraus in die Stadt, mit genauem Auftrag, was sie denn einkaufen solle in der ehemals Papenbrockschen Bäckerei an Hörnchen und Streuselkuchen und Amerikanern. Als sie auftrat in seinen zwei Zimmern am Markt in Jerichow, hatte Kliefoth sich rasiert, in einen schwarzen Anzug geworfen; stand an der Tür wie des Fräuleins gehorsamster Diener. Es war dann seine Besucherin, die mußte das Naschzeug aufessen bis zum letzten Krümel, während sie zwei Jahre Schulzeit beichtete. Er saß aufrecht hinter dem Tisch, festen Blicks. Ihm war behaglich, das war zu sehen, wenn er die Zigarre von sich abhielt und sie betrachtete mit einem Wohlgefallen. Der Schülerin war ein guter Ausgang ungewiß.
– Iam scies, patrem tuum mercedes perdidisses: sagte Kliefoth schließlich, auffordernd.
Du wirst bald wissen, daß dein Vater das Lehrgeld verloren hat. Was Sie in jener Schule gelernt haben, Fräulein Cresspahl, es ist eine schlechte Ausrüstung für ein Leben in den Wissenschaften.
Die Ferien des Sommers 1952 verbrachte Cresspahls Tochter noch zur Hälfte an der See; vom frühen Nachmittag an jeden Wochentag hatte sie bei Kliefoth aufzutreten mit einer Tüte Kuchen und nahm von ihm Belehrungen an vermittels eines Buches, dessen einer Leitsatz lautet: It may be fairly said that English is among the easiest languages to speak badly, but the most difficult to use well (Prof. C. L. WRENN , University of Oxford: The English Language, 1949, p. 49).
Zur Abreise an die Universität bekam sie’s sogar geschenkt, das Handwerkszeug, und ist damit umgezogen bis auf die andere Seite der Welt: Gustav Kirchner, Die zehn Hauptverben des Englischen im Britischen und Amerikanischen, Halle (Saale) 1952.
Diesen Lehrer hat die Schülerin Cresspahl aufgesucht, solange sie noch nach Hause kam nach Mecklenburg. Und immer mußte sie vor seinen Augen Kuchen essen, weil das eine von seinen Vorstellungen war für junge Damen.
Dem schreiben wir einen Brief Rechenschaft ein jedes Jahr, und sieben dazu, wenn’s uns beliebt.
Den hat die Schülerin Cresspahl einmal am Rande gefragt, wie es zuging für zehnjährige Kinder im Jahre 1898 in Malchow am See in Mecklenburg; dreißig Seiten in einer Schrift aus Stickerei schickte der:
»Der 10jähr. Landjunge von 98 könnte ich selber sein – aber wir Stadtjungen distanzierten uns doch von den post numerando gebliebenen gleichaltrigen ›Landmoritzen‹ (lokale Verballhornung ›Landmilizen‹). In M. wurde die übliche
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