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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Universität eine Fahne mit Picassos Friedenstaube (dritte Fassung) gestiftet bekam von der Kommunistischen Partei Frankreichs, sie klatschte mit im Takt beim Festakt; noch für Biologie eingeschrieben hätte sie verschwiegen, daß Tauben von unverträglichem Wesen sind, einander die Nester zerstören und ein Unglück bedeuten für jedes Haus, das sie mit Nistplätzen angreifen.
    – So ein schweigsames Kind, es fällt auf.
    – Das Cresspahlsche Kind hatte gelernt von seinen Freunden Pagenkopf und Lockenvitz. Wenn sie denn laufen sollte auf einem Seil, so spannte sie sich Netze. Wurde nach einem der wichtigsten Sätze der amerikanischen Literatur gefragt, rezitierte sie gehorsam die Äußerung von J. L. Steffens (1866 bis 1936) über seine Besuche in der Sowjetunion:
    Ich habe die Zukunft gesehen, und sie funktioniert;
    dann noch zu einer rechten Zeit wissen und aussprechen, was die Engländer für einen Ausdruck benutzen, wenn sie eine Kommode meinen, es konnte nur helfen. Die andere Sicherung hatte sie von Pius gelernt, die gesellschaftliche Betätigung. An Martin Luthers Universität reichte vorerst, daß sie sich meldete für einen Kursus im Rettungsschwimmen. Schwer bekleidet, mit einem belasteten Rucksack schwamm sie fünfzig Meter unter Wasser, wendete zum Luftholen; wie sollte ein Aufpasser vermuten, daß sie da einen Ausgleich fand für den Ekel vor dem Badezimmer am Amtsgraben, das sie nur einmal in der Woche zum Duschen benutzen durfte? So eine Studentin, die nebenher noch fünfzehn Wochenstunden abzusitzen hat allein im Englischen, der fehlt Zeit für Ämter bei den jungen deutschen Freien. Trägt man ihr eines an, sobald sie das Große Schwimmzeugnis vorweisen kann, ist sie längst sieben Schritt weiter und gibt zwei Stunden in der Woche her für einen Verein, den hat das Innenministerium im August 1952 gegründet, damit die Jugendlichen das Funken und das Schießen lernen.
    – Gesine, du lüchst!
    – Was Pius Pagenkopf bestimmen wollte über einen fliegenden Waffenträger als Kommandeur, das nahm seine Freundin sich heraus mit einem Kleinkalibergewehr. Auf wen sie am Ende anlegen wollte und abdrücken, so daß der Schuß traf, das gedachte sie in Ruhe zu überlegen.
    – Du hast gar keinen Waffenschein, Gesine!
    – Seit wann brauch ich ein Stück Papier zum Schießen?
    – Du kampftüchtige Amphibie!
    – Neid, my dear Mary, ist eine ungünstige Eigenschaft; sogar für eine Bank. Although bankers have human feelings, too.
    – Ich geb es auf. Ich glaub’s.
    – Bitte. Auf Verlangen recht freundlich.
    – Etwas über Sachsen.
    – Über drei vier Leute in Halle. Die ersten beiden hielten einander für ein Paar, die nahmen für ein möbliertes Zimmer fünfundzwanzig Mark, in dem zweitbesten Wohngebiet. Die Frau arbeitete für den Direktor eines VolksEigenen Betriebes und war aus der Ehe ein bißchen abgerutscht in die Aufgabe, ihren Vorgesetzten auswendig zu lernen. Ihr Tag war so wie dessen Laune; stolz kam sie einmal an und erzählte, sie habe dem Genossen Direktor noch gerade rechtzeitig vor einer Konferenz die Krawatte zurecht gezogen. Das hatte ich mir anders vorgestellt bei VolksEigens; unterhalte seitdem eine Ahnung, wie man damals im Ostdeutschen was wurde als Chefsekretärin. Darüber kam der ihr bloß angetraute Mann sich vergessen vor, vernachlässigt; klopfte geflissentlich an die Zimmertür der Untermieterin, gern abends, zu einer Erörterung verständnisarmer Ehefrauen, die auf Sitzungen und Versammlungen laufen bis in die Mitternacht. Die Studentin Cresspahl verließ die Abhänge des Reilsberges schon im zweiten Monat, zog um an den Gertraudenfriedhof von Halle. Das Schild im Kopf der Straßenbahn Nummer 1 gab als Ziel eine »Frohe Zukunft«; das Haus an der Haltestelle war arm, bot Toiletten für vier Parteien auf halber Treppe. Die Bewohner mißtrauisch gegen die Fremde, da sie verlegen war mit der hiesigen Sprache; auch weil ihre Kleider aussahen, als dürfe sie mehr kaufen als ihnen die Lebensmittelkarten oder Bezugsscheine erlaubten. Die Vermieterin gab sich Mühe, die bedurfte der zwanzig Mark; sie putzte das Fenster, fegte aus in der Mansarde, die Anita aus einer einzigen Schilderung erkannte als »Schillers Sterbezimmer«. Das Wasser auf dem Lavoir, im Januar war es morgens gefroren. Da hab ich den Vorsatz gefaßt für ein Kind, sollte ich mal eines bekommen –
    – Thank you ever so kindly.
    – es sollte aufwachsen außerhalb einer Untermiete, in eigenem Zimmer, mit

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