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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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hinter dem Fahrer, der habe den ungetümen Wagen fast in den Graben gesteuert aus Vorfreude. In der Frankfurter Allee von Berlin, die damals umgebaut wurde zu Ehren des Großen Genossen Stalin, rückten sie ihrem mitgenommenen Mädchen auf den Leib, bis sie zwanzig Mark rausrückte, mehr als das Geld für eine Reise auf der Reichsbahn. Gutmütiges Drohen mit der Bereitschaft zu Handgreiflichkeiten.
    – Finde ich schäbig.
    – Finde ich verdient, als Auskunft über die Gemeinsamkeit von Interessen der Arbeiter im Transportgewerbe und der Studenten zwischen Halle und Leipzig. Zwar wurde gerade in diesem Jahr dem ostdeutschen Staatswappen neben Ährenkranz und Hammer noch ein Zirkel verpaßt, als Sinnbild der »technischen Intelligenz«; die beiden Vogtländer hätten auch einen Studierenden der Ingenieurswissenschaften hochgenommen und ausgepreßt. Allerdings waren wir –
    – Ihr?
    – Anita und ihre mecklenburgische Freundin beständig erstaunt, was alles Arbeiter in Ostdeutschland sich gefallen ließen: die Veränderungen der Betriebskollektivverträge durch einen »sozialistischen Inhalt« im Januar 1953, sprich eine Anhebung der Normen für Arbeitsleistungen; was für einen Lohnempfänger so aussehen mußte, als könne er allmählich immer weniger Lebensmittel kaufen für sein Geld. Der Sachwalter wünschte nun zurückzunehmen, was ihnen im vorigen Sommer verordnet war an höheren Löhnen; er war auch bedrängt von einem Kaufkraftüberhang, da er solche Sachen wie den Primat der Konsumgüterindustrie bekämpft hatte, aus wissenschaftlichen Gründen, und nunmehr zu wenig Schuhe oder Kochtöpfe anzubieten hatte auf dem Markt; weil die Partei kein Mensch ist, denn sie hat immer recht.
    – Du kanntest den Vater von Eckart Pingel in Gneez.
    – Oll Pingel hätte der Studentin Cresspahl die Tageszeit geboten mit einem raschen Zusammenkneifen der Augen, das bedeutete die beschwingte, die belustigte Erkundigung: Na, Gesine; bist auch da? Die Mütze hätte er abgenommen vor Händedruck und Gespräch; aus einer Anfrage wegen der Technischen Arbeitsnormen von Gnaden der Sowjetunion wäre er weggetreten, wie vor einer Zudringlichkeit. Denn zu diesen Zeiten, da Eckart Pingel fast von der Schule geflogen wäre (»weil er die Wahrheit gesagt hat«), da hielt sein Vater jeden für einen Günstling des Neuen Staates, der da etwas studieren durfte, für einen Verbündeten der Obrigkeit.
    – Bauern kanntest du.
    – Wenige. Nach dem Krieg waren die Rittergüter im Winkel um Jerichow aufgesiedelt worden (bis auf das Plessensche, im Süden, und ein viel kleineres, das ehemals Kleineschultsche an der Ostsee; die hielt die Rote Armee sich zur eigenen Versorgung mit Fleisch, Brotmehl, Fett). (Und ein drittes, das von den Oberbülows, das war erhalten als V. E.-Gut in einem Vertrag mit den Städtischen Krankenanstalten Wismar.) Unter den Leuten, die 1946 Stücke Land angenommen hatten zwischen zwei und vier Hektar, waren wenige der Landarbeiter von dunnemals; die verstanden die Wirtschaft und hätten es ab zehn Hektar erst versucht, durchzukommen. Es gab ein einziges Dorf, da waren nur Bauern, seit dem vierzehnten Jahrhundert. Was da anfiel nach den Schwarzmarktzeiten an Verkehr, damit das Haus Cresspahl Kartoffeln in die Keller bekam, das besorgte bis 1950 Jakob; dann hatte Cresspahl von neuem erlernt, über Land zu gehen. Das Kind Cresspahl war seit 1944 auf Schule in der Stadt Gneez, danach noch weiter auswärts. Kannte keine Bauern. Fuhr wohl einmal, auf Dr. Kliefoths Ersuchen, mit dem Rad eine Schleife über Pötenitz und Alt Demwies; konnte ihm berichten von leeren Höfen, aus denen die Siedler zurückgewichen waren, als des Sachwalters Leute ihnen das Geschenk von bloß vor sechs Jahren wieder abzugewinnen trachteten in einer Umwandlung der Hofstellen in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. (»Wi weit’t dat nu!«) Hatte ungetränkte, ungemolkene Kühe brüllen hören; war kuriert von dem Aberglauben, kein mecklenburgischer Bauer lasse ein Haupt Vieh auch nur für eine Nacht ohne Futter und Aufsicht zurück. Kannte keine Bauern.
    – Georg Utpathel.
    – Dem war es gegangen nach der Regel; saß zu einem Glück längst; durfte sich helfen mit der Einbildung, er habe seinen Hof wenigstens verloren durch eine Handhabe des Gesetzes. Doch kannte ich einen Bauern!
    – Johnny Schlegel.
    – Der war eine von den Ausnahmen. Ein studierter Mensch, mit Ansichten über landwirtschaftliche Kommunen aus der Zeit von Weimar.

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