Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
fließendem Warmwasser und Dusche.
– Was bin ich froh, daß ich dich habe. Wie werd ich dich entbehren.
– A tua disposizione, Fanta Giro. Bestellen wir Champagner bei dieser bedürftigen Fluggesellschaft?
– Was nutzt das schlechte Leben. Ich wünsche mein Steak durch, durch und durch. If you please.
– Der vierte Mensch in Halle war vom Stamme Gabriel Manfras.
– Ein Schnüffler nach Gesinnungen.
– Inzwischen war meine Akte überwiesen von der Kreisleitung Gneez, nun wollte eine Hochschulgruppe sich vergewissern, was denn die Studentin Cresspahl im Innersten zusammenhält, etwa ein nachtragendes Wesen wegen der Unterbringung ihres Vaters im Konzentrationslager Fünfeichen, wegen der verunglückten Haussuchung vom vorigen Sommer? Der Junge gab sich als Bewerber, ging mir nach, traf auf die Kommilitonin mit dem Vorgeben einer Überraschung, nachts um elf auf der Peißnitz-Insel zwischen Wilder und Schiffs-Saale; hatte unwissentlich sich ertappen lassen beim Warten an der Brücke der Freundschaft. Der verriet sich bald; gab von Gneez und Jerichow Kenntnisse zu verstehen, wie sie schwerlich zum Alltag gehören fern von Mecklenburg. Sein Opfer tat harmlos, erzählte mit glaubwürdigem Zögern, was ungefähr in der Akte stehen mochte, ihm mitgeteilt war bei der Beschreibung des Auftrags. Der hatte es mit jener Dialektik, die zunächst einmal rät, den »Fakt«, und sei es die Abschaffung des Namens »Nachtigallen-Insel«, zu betrachten in der Beleuchtung eines Cui bono
– Hatten wir! Kann ich: Wem es nützt!
– mit dem Ziel der Erkenntnis, nunmehr stehe »dein Fakt« doch verändert da, oder sei getilgt. Zu schmusen wünschte der auch; dem war es vermutlich einmal gelungen, eine ins Bett zu quasseln. Was die Herren nur haben mit meinem Busen und loben ihn wie ein Verdienst! Als ob ich ihn abzulegen vermöchte!
– Und die schönsten Beine auf dem ganzen Fünferbus von New York, oberhalb der 72. Straße.
– Grazie tanto, du Amerikanerin. Ich hab es lieber, daß mir ins Gesicht gesehen wird; das fiel dem Lockspitzel schwer. Der glaubte sich unterwegs zu einer unentgeltlichen Liebschaft; den hielt ich mir als Begleitdogge. Das kostete ihn, oder den Reptilienfonds des Innenministeriums, ein Stück Geld. Denn Besuche auf dem Tanzbums am Thälmannplatz, dem Tusculum, Eintritt und Anfassen frei, die verweigerte ich; mit Einladungen in die Goldene Rose in der Rannischen Straße, in das alte Café Zorn an der Leipziger Straße, neuerdings benannt nach Klement Gottwald wegen der Geographie, ließ ich mich versöhnen. Der mochte Land sehen, wenn ich ihm auf die schmalen Handgelenke blickte, die er beim Sprechen zierlich wendete, dieses Teiles Anmut für seine Person wohl bewußt. Der versuchte die künftige Geliebte betrunken zu machen, sie dingfest zu kriegen mit einem verfänglicheren Fakt als dem, daß sie gern auch Romanistik belegt hätte; als sie vorbehaltlich zugestand, sie wolle ein Zweitstudium begreifen als ein »bürgerliches Überbleibsel«, war er in Grüns Weinstuben am Rathaus ärmer geworden um den Preis von zwei Flaschen Beaujolais, und das Mädchen nüchtern. Sie kam aus der Cresspahlschen Schule, in der ein Schluck Richtenberger gelehrt wurde als eine Medizin; die hatte mit Jakob Silvester begangen im Lindenkrug von Gneez, bei jeweils hundert Gramm Wodka; wie würde sie denn einem jugendlichen Agenten in Sachsen anvertrauen, daß sie in selbiger Nacht einem Rotarmisten die Mütze vom Kopf gewischt hatte, vorgeblich aus Versehen, absichtlich aus Unmut über die Niederlassungen seines Vereins im Gräfinnenwald, iswinitje paschalsta! Zu Anfang des zweiten Semesters war ich kostbar geworden für den jungen Mann, weil ich zurückkam aus dem unbekannten Mecklenburg, weiterhin bedenklich, die Seine zu werden; da machte ich dem Spiel ein Ende, der Aushorchung vermittels beantragter Liebe.
– Schade. Mir hat es gefallen. Obwohl, er verdient keinen Namen.
– Den soll der Real Existierende Sozialismus holen! Er kam an mit einer Einladung in den Salon der Frau von Carayon an der Behrenstraße … der Ludwig Wucherer-Straße von Halle, da besprachen ältere Semester hinter ansehnlichen Fassaden aus der Gründerzeit, was sie ungesättigt ließ am Diamat, dem Dialektischen Materialismus, etwa eine Untersuchung von Jean-Paul Sartre über Das Sein und das Nichts, Hamburg 1952. Die Studentin Cresspahl war mit den Herren bekannt aus Tischgemeinschaften in der Universitätsbibliothek, wurde von ihnen
Weitere Kostenlose Bücher