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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Angeklagten überführt als tief verhaftet im kapitalistischen Denken.
    – Schon zwei.
    – Schon vier. Nach Sünderhauf wurden Frau Bliemeister und Frau Lakenmacher einvernommen. Denn Johnnys Verein hielt sich an einen anderen Plan, als er ihn den Behörden eingereicht hatte in mehrfacher Ausführung. Darin war der Tod von Jungtieren vorausgesehen.
    – Gesine!
    – Du denkst, bloß Kleinkinder sterben zu früh. Es kann doch auch ein Kalb sich erkälten und eingehen an Lungenentzündung.
    – Dafür hat man einen Arzt.
    – Von den fünf Veterinärmedizinern in Gneez hatten inzwischen drei »in den Westen gemacht«, Dr. Hauschildt immer voran. Wenn Johnny die eigenen Kenntnisse in dieser Wissenschaft in Rechnung stellte und fachmännische Hilfe davon abzog, kamen für die Zukunft Abgänge im Viehbestand heraus. Daraus machte der Staat, vor dem die Tierärzte davon liefen, Johnny den Vorwurf der Verleumdung. Wirtschaftsverbrechen. Boykotthetze. Und weil Johnny in seinem Schlußwort zu wissen begehrte, wieso das Gericht ihm auftrenne, was die Krasnaja Armija ihm genäht hatte: Vergehen gegen das Gesetz zum Schutz des Friedens.
    – They threw the book at him.
    – Fünfzehn Jahre Zuchthaus. Für die übrigen Angeklagten: von acht bis zwölf. Einzug des Vermögens. Im April stand Johnnys Genossenschaft ausgeräumt. Die Mitglieder waren mit allen Kindern in die Flüchtlingslager von Westberlin abgehauen. Inge Schlegel blieb noch eine Weile; die wollte versuchen, das Wohnhaus zu retten; einer mußte ja sorgen für Axel Ohr mit Paketen ins Gefängnis. Nun war offenbar, wo Johnny sich verrechnet hatte in seiner Erfindung: sie bedurfte seiner Anwesenheit. Wenn nur eine Frau allein den weitläufigen Hof versorgen soll, kann er schon nach einem Monat schiefe Türen haben und Löcher in den Dächern. Ihr war ein einziges Pferd gelassen worden, Jakob sin Voss. Als der erschossen war, ging sie. Es ist eine Geschichte … wie die von Kleinkindern, die in eine Wassertonne fallen.
    – Ich muß mir das abgewöhnen mit der Feigheit. Erzähl sie.
    – Marie, verzichte.
    – Ich bin elf Jahre alt.
    – Du wirst es bereuen.
    – Auf meine Verantwortung.
    – Jakobs Fuchs wurde in den Büchern geführt als mittleres Arbeitspferd. So eines braucht im Jahr:
    10 dz Heu,
    16 dz Futterstroh,
    20 dz Rüben,
    18 dz Körnerfutter,
    30 dz Grünfutter,
    von dem es sich ein Teil selber auf der Weide holen kann. Wenn du nun einen Zentner Hafer für 1953 veranschlagst mit fünfundzwanzig Mark –
    – überfordert ein solches Pferd den Etat der Studentin Cresspahl.
    – Das Frühjahrssemester 1953 endete am 9. Mai, am Montag danach war ich bei Inge Schlegel zu Besuch. Sie hielt mich an der Schulter, als Jakob sin Voss an uns vorbeigeführt wurde; ich ging ihm nach an die große Futterküche. Der Mann mit der Leine in der Hand sah sich um mit einem dwatschen Grinsen, als wolle er mich einladen zu einem Schauspiel, einer Überraschung. Das Pferd ging munter, freundschaftlich nickend unter den begütigenden Reden des Kerls. Ein paar Rippen waren zu sehen; es war ganz gesund. Seine Blicke sagten: ihr habt mich ein wenig hungern lassen, ihr Menschen, nun kümmert ihr euch von neuem um mich; ich will mich gern mit euch vertragen. Als ihm in der Küche das Bolzenschußgerät auf die Stirn gesetzt wurde, schloß es vertrauensvoll die Augen; dies war etwas Neues von den Menschen. Nach dem Tod, auf die Seite geschlagen, zuckten die Beine heftig, durcheinander, schlugen ausdauernd gegen den hallenden Boden. Das sah sich verzweifelt an; wissenschaftlich betrachtet waren da noch Nerven am Wirken. Das gutmütige Tier, Jakob sin Voss, ein widerliches Stück Fleisch in blondem Fell war es mit einem Mal; kenntlich noch an den offenen Augen.
    – Statt vor der Tür zu warten, Gesine!
    – Woher sollte ich wissen, der Fremde ist ein Schlachter aus Gneez! seine beiden Gehilfen mit dem Messer erblickte ich zu spät.
    – Gesine, wenn ich noch einmal angebe mit meinem Alter, fährst du mir über den Mund, verstanden? Dann knallst du mir eine!
    – Unsere Position ist Salt Lake City, Utah.
    – Nun hattest du genug.
    – Nun mußte ich noch ansehen, wie in Gneez die Möbel von Elise Bocks Schlafzimmer versteigert wurden. Sie waren Volkseigentum, seit Elise umgezogen war nach Westberlin. Da drängten Leute einander in einem schmalen, schmutzigen Hof vor den offenen Flügeln von Elises Fenstern. Darin trat auf ein Mann in abgewetztem Anzug, am Revers das Abzeichen der

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