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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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einer begehren kann nach vertraulichen Besprechungen über den Existenzialismus, und lächeln kann, und immer lächeln, und kann ein Vigilante sein!
    – Da warst du entbehrlich, nahmst Abschied. Wir befinden uns über Omaha, Nebraska.
    – Auch weil seit Mai 1952 zu fürchten war, der Sachwalter würde die Grenzen dicht machen. Damals wurden die Grenztruppen der Staatssicherheit unterstellt, die zogen entlang der Demarkationslinie einen zehn Meter breiten Kontrollstreifen, einen fünfhundert Meter breiten Schutzstreifen, daran fünf Kilometer Sperrzone; da siedelten sie aus, wer ihnen bedeutet war als unzuverlässig: Kaufleute, Gastwirte, Handwerker, Großbauern. Eben die, bei denen die Regierung sich unbeliebt gemacht hatte mit Steuerkrieg und Ordnungsstrafe. Da war schon einmal der Ausgang geschlossen.
    – Solche freiwilligen Soldaten, sie wissen doch, daß sie einschreiten müssen gegen die Wünsche ihrer Nachbarn.
    – So ein Junge, der aufwacht auf dem Land, er sieht doch Knochenarbeit um sich, oft noch für Fremde, ohne daß er jemals etwas erwürbe für sich; der geht gern mit den Werbern für die Bewaffnete Polizei, wenn sie ihm ordentliches Tuch versprechen, besseres Essen als für Knechte, leichten Dienst und eine Versorgung auf lange Lebenszeit. So ein Lehrling in der Stadt, der hat die Feilerei satt, oder Arbeit überhaupt, der verpflichtet sich auf Zeit, denn so kriegt auch er höher bestückte Lebensmittelkarten und ein Anrecht auf Wohnraum. (Materieller Anreiz; was vermag dagegen das Gewissen: ANITA .) Auch wird ein erfahrener Staatslenker seine thüringischen Rekruten eher im Sächsischen einsetzen, und die von da in Mecklenburg. Übrigens war das Land Mecklenburg aufgelöst.
    – Entschuldige, Gesine. Mir kannst du viel erzählen.
    – Dazu gab es ein »Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern« der D. D. R. vom 23. Juli 1952. »Mecklenburg«, das durftest du nun noch sagen in einem sprachlichen, einem volkskundlichen Sinne. Sonst bestand es aus drei Bezirken: Rostock, Schwerin, Neubrandenburg; dahin wurden Landtag und Landesregierung überführt. Im Süden ist ein Stück Westprignitz dazugekommen, und die Uckermark. Weil nun in dem Gesetz, das die Länder abschaffte, von ihnen die Rede war, wurden noch 1958 durch die Bezirkstage Abgeordnete zur Länderkammer gewählt, die mußten immer mal wieder zusammentreten und erklären, daß sie keinen Einspruch erheben gegen das Gesetz vom Sommer 1952.
    – Tut es dir leid um die Farben Blau-Gelb-Rot?
    – Um die Beseitigung des Blau, wegen des goldenen Greifen auf solchem Grunde; für Rostock. Um rot und gold; für Schwerin. Um das Rot, die Zunge des schwarzen Büffelskopfes für das Gebiet Wenden. Es ist ein Stück Herkunft unkenntlich gemacht worden.
    – Und weil später die Arbeiter und Bauern einen Aufstand gemacht haben gegen eine Regierung der Arbeiter und Bauern, bist du weggegangen aus Mecklenburg.
    – Was für großmächtige Worte, Marie!
    – So heißt es in der Schule.
    – Die amerikanische Schule bringt euch das bei als eine erste Auskunft über den Sozialismus, damit ihr vorbeisehen lernt an den Aufständen der Neger von Watts bis Newark!
    – Gesine, du sagtest: Erst ab Oktober.
    – Versógelicke. Was Gesine Cresspahl war, die kannte keinen Arbeiter im Vertrauen.
    – Einen, bitte.
    – Zwei; in einem Irrtum. Im Mai 1953 hatte stud. phil. Cresspahl doch einmal zu wenig Geld, vergessen bei Jakob einen Freifahrtschein zu bestellen; wünschte sich zu besprechen mit Anita. Um am Preis für die Eisenbahn zu sparen, fuhr sie bloß bis Schkeuditz und stellte sich da auf am Autobahnkreuz, die Kollegtasche unter einem Arm, den rechten winkend erhoben. Das dauerte anderthalb Stunden. Die meisten Fahrer in den westdeutschen Wagen grüßten mit der Lichthupe, was heißen sollte TutMirLeid; weil ihnen das Aufnehmen von Passagieren im Transitbereich gefährlich werden konnte bei der Volkspolizei. Runde Blitze, weißer als die Morgensonne. Wer da hielt für entmutigte Studentin nach Berlin, es waren zwei vierschrötige Kerle, unterwegs mit Umzugsgut aus dem Vogtländischen, für eine VolksEigene Firma; die bekundeten Vergnügen an Gesellschaft, hielten ihren Gast am Schweigen mit dem wiederholentlichen Austausch von Geschichten, da hatten Damen zu einer nächtlichen Zeit gewartet am Straßenrand und waren bereit gewesen zu einer Vergütung der Fahrt in Stellungen auf der Bank

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