Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
präpariert. Am Rinnstein stand ein Wohnwagen, hing ein gelbes Schild am Vorgartengitter. Nächsten Tages schlugen Zimmerleute dem Haus die Zähne aus; trugen Fenster und Türen sorgsam beiseite, das verwertbare Material. Dann zersägen sie dem Haus die Knochen, brechen ihm das Rückgrat, trennen es vom Nachbarn; der Nachbar tut taub. An sämtliche Türen neben dem Opfer kommt ein rotweißes Plakat. Um elf Uhr morgens sinkt das Haus an einer Sprengwunde in sich zusammen zu einem Häufchen, so klein du glaubst es kaum. Aus den Resten splittern noch Balken, Rest von Balkongeländern; der Staub schmeckt nach Bombenkrieg. Zur Beseitigung sind zwei Caterpillars aufgefahren, zwei Förderbänder. Fast bis zum Ende ist der geschmiedete Zaun heil, bis er zertrümmert und weggefegt wird in einem einzigen Schaufelschlag. Dabei verfitzt sich ein junger Baum, der kriegt eins gegen die Wurzel; weg ist er. Die freigelegten Wände des angrenzenden Hauses sehen so ungeschützt aus mit ihren drei zugestellten Türdurchbrüchen, es scheint in der Sonne zu frösteln. Oben in der flimmernden Luft, da habe ich mit Jakob gelebt.
– Was hatte ich für eine Krankheit?
– Ein Fieber befiel dich. Einundvierzig Grad, das wollte stärker sein als die Medizinen. Warst zwei Tage bewußtlos. Als du aufwachtest, saß an deinem Bett noch einmal Cresspahl, betrachtete seine Erbin.
– Erst bist doch du dran.
– Jakobs Kind, es ging vor. Für so eine Marie von Jakob verging Cresspahl sich gegen das Gesetz. Nach einem ostdeutschen Gesetz wurden Leute verhaftet und verurteilt, wenn die Stelle 12 in ihren Briefen über die Grenzen Klagen fand über die Weisheit des Sachwalters; was war da erst angedroht für privaten Verkehr mit Devisen! Statt sein Konto bei der Surrey Bank of Richmond anzumelden beim Finanzamt Gneez oder der ostdeutschen Post, reiste Cresspahl nach Westberlin zu einem Anwalt in der Lietzenburger Straße, der berät auch Inge Schlegel, dem setzte er einen Brief auf in englischer Sprache. Nach Jerichow kam eine Karte mit Osterwünschen, unterschrieben von Anita; Fassung für die Zensur; Übersetzung: aus Richmond, England, meldet eine Bank erleichtert, bankers have human feelings too believe you me! daß ein Mr. Cresspahl sich bekennen will zu all den Pfunden, die bei ihr gewartet haben seit 1939 mit Zins und Zinseszins, seit drei Jahren frei gegeben in die beliebige Verfügung ehemaliger Feinde. Cresspahl, mit seinen bald neunundsechzig Jahren, er steigt zum ersten Mal in ein Flugzeug, einen Kontoauszug nach Düsseldorf zu bringen. Das war die eine Hälfte. Von Düsseldorf aus reiste Cresspahl zu jenem Amt im Wald bei Mönchengladbach; machte sich kenntlich mit jenem half penny, Prägejahr 1940, vorn eine Kogge voller Mut, auf der Rückseite GEORGIVS VI , deo gratia omnium rex et fidei defensor. Treu und Glauben bekamen ihren Wert; Cresspahl wurden seine dreißig Schillinge ausgezahlt. Das war die andere Hälfte. Cresspahl, ostdeutscher Bürger, baute in einem Testament zu Düsseldorf zwei große Haufen Pfund in einen Kasten aus Gesetzesstäben, den knackst weder du noch ich; allenfalls ein Vormund mit testamentarischer Vollmacht.
– Wer ist mein Vormund, außer dir?
– Gegenwärtig mußt du mit mir auskommen.
– Ich wünsch mir deinen Erichson.
– Der … hat es streng genug; könntest du dich verstehen zu Anita?
– Nachdem ich es besprochen habe mit D. E.; vielleicht. Habe ich mich feindselig betragen zu meinem Großvater?
– Anfangs warst du ängstlich vor solchem schwarzen Mantel aus dem Jahr 1932; bis dir die samtenen Aufschläge gefielen. Bald fandest du lustig, uns nachzumachen; setztest dich ihm und mir gegenüber, schlugst ein Bein übers andere, faltetest die Hände und blicktest ergeben, hängenden Kopfes, als seist du traurig. Cresspahl war es genierlich, ein Kind betrübt zu haben mit seiner Miene; er hielt dir seine Hand hin, eine geräumige harte Tischlerklaue, und du schlugst hinein mit deiner Katzenpfotenfaust. Du bist eingeschlafen ohne Angst, wenn er dir erzählte von den Zeiten, als der Teufel noch ein kleiner Junge war, da mußte er Kümmel holen für seine Großmutter.
– Und meine eigene Großmutter? nach der ich heiße?
– Frau Abs fürchtete sich nun vor einem Jerichow, da kann ein Herr Rohlfs mit dem Abzeichen der Staatssicherheit sie beiseite nehmen und befragen wegen einer Gesine Cresspahl; die blieb in Hannover. Sie war eingeladen nach Düsseldorf; sie kam lediglich zu Besuch. So bist
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